Man könnte natürlich ganz polemisch im Sinne des Zeitgeists sagen: Das geht ja gar nicht. Mehr. Heutzutage. Da stehen sieben alte weiße Männer auf der Bühne, in der Mitte Van Morrison, der sozusagen die Alte-Weiße-Mannigkeit auf die Spitze treibt. An der Seite, ziemlich weit abseits, steht eine Backgroundsängerin mit schüchternem Tamburin, wahrscheinlich ist ihr Name "Schatzerl". Und dann singen und spielen die auch noch Musik aus der schwarzen Musikgeschichte - Blues, Soul und Skiffle. Kulturelle Aneignung at its best. Canceln lieber heute als morgen?
Bitte nicht. Denn erste Eindrücke sind oft halt nur erste Eindrücke. Denn es ist Van Morrison. Dem großen alten Grantscherm des Pop verzeiht man das. Denn selbst wenn er sich hinstellt, seine fast 20 Songs aus dem Album "Moving On Skiffle" mit dem Mindestmaß an musikalischer Emotion runterspielt und nach kaum 90 Minuten quasi grußlos wieder abmarschiert, ist das ein Erlebnis. So geschehen am Montag im Wiener Konzerthaus, am Dienstag gibt es einen weiteren Termin. Am Montag begann der Mann, von dem man sich erzählt, dass er das mit den 90 Minuten Spieldauer wirklich sehr ernst nimmt, sogar schon ein paar Minuten vor offiziellem Konzertbeginn - da hatten noch nicht einmal alle Fans rechtschaffen ihre Plätze eingenommen.
Keine Anti-Corona-Songs
Von manchen also erst nur als Hintergrundmusik wahrgenommen, startete er in den Abend mit der Bluesnummer "Streamline Train", für die er zum ersten, aber keineswegs letzten Mal in die Mundharmonika blies. Fans, die zu diesem Konzert kamen, um die unverwechselbare nordirische Soulstimme einige ihrer berühmten Lieder, die man nicht zuletzt aus unzähligen Filmen, zuletzt Kenneth Branaghs "Belfast" kennt, singen zu hören, wurden womöglich enttäuscht. Morrison konzentriert sich bei dieser Tour komplett auf sein neues Album, das ihn, den Nostalgiker, in seine Jugend zurückführt, als in seiner Heimat der reinste Skiffle-Hype herrschte. Gut, wenigstens war so auch keins seiner Anti-Lockdown-Machwerke zu hören, der Sturschädel, mit heute 77 Jahren sattelfest in der Risikogruppe, konnte sich ja mit Corona-Schutzmaßnahmen nie so richtig anfreunden. Dementsprechend herrschte aber am Montag im Konzerthaus kein Mangel an Hammondorgel-Klängen und Waschrumpel-Geschrammel. Der Meister selbst griff neben der Mundharmonika zur Gitarre und zum Saxophon, um seine famose Band (besonders hervorzuheben das Keyboard, das Jerry-Lee-Lewis-Reminiszenzen erweckt und die Trompete, die die Saints einmarschieren lässt) Songs wie "Sail Away Ladies", "Take This Hammer", "Careless Love" oder "Streamline Cannonball" zu begleiten.
Besonders gut gelingen die harsche Einladung "Come On In", der Gospel "This Loving Light Of Mine (Im gonna let it shine)", das auch den Blues Brothers aus dem zugehörigen Film die funky Tränen in die Augen getrieben hätte, und der "Worried Men Skiffle", bei dem kurz tatsächlich das Temperament mit Morrison durchgeht und sein Arm zweimal ekstatisch zuckt.
Der Mann mit dem Hut, der Sonnenbrille und den kontrollierten Phrasierungen - er mag aus einer anderen Zeit kommen. Aber er ist das beste Beispiel dafür, dass das nicht immer verdammenswert ist. Gerade seine einprägsame Stimme umfängt dieses Genre so kraftvoll, dass man diesen Abend nicht missen möchte.