Eigentlich, so suggeriert der Hausverstand, ist im Show Business der beste Zeitpunkt, einen auffälligen Gimmick zu lancieren, der Karriere-Anfang. Gilbert O’Sullivan erlangte Anfang der 70er in einer Masse an langhaarigen Hippie-Musikern als Keaton-/Charlie-Chaplin-Verschnitt in weiten Hochwasserhosen und Hosenträgern erste Aufmerksamkeit, Leo Sayer in Pierrot-Aufmachung, Peter Gabriel als Sänger von Genesis mit dramaturgisch fundierten Maskenspielen. Und natürlich Kiss mit ihrer Gesichtsbemalung und den Kostümen.

Anonymisierung

Erstaunlich oft aber ist - insbesondere in der Glam-Rock-Ära, in der auch die Genannten zeitlich zu verorten sind -, in Schminktiegel und Klamottenkiste gegriffen worden, um schon bestehende Karrieren anzukurbeln. David Bowie hatte bereits Erfolge zu Buche stehen, als er sich als messianische Alien-Figur Ziggy Stardust sprichwörtlich neu erfand. Marc Bolan hatte mit seiner Formation Tyrannosaurus Rex bereits eine hingebungsvolle Folk-Gefolgschaft auf sich eingeschworen, als er den Band-Namen auf T. Rex verkürzte, sich in Glitzer-Schale warf und Make-up anlegte. Und nicht zuletzt bedienten sich in den frühen 70ern auch Lou Reed, Iggy Pop oder Mick Jagger solcher androgyner Präsentationsmittel.

Wie Jonathan Bree aussieht bzw. früher ausgesehen hat, ist absolut kein Geheimnis: In zahlreichen Clips kann man den heute 43-jährigen Neuseeländer als durchaus aparten Sänger und Gitarristen der Indie-Pop-Band The Brunettes oder als Duett-Partner der ähnlich vielseitigen und multiinstrumental versierten Sängerin und Songwriterin Princess Chelsea sehen. Das Video zum göttlichen "Cigarette Duet" zwischen einem ehemaligen Raucher und einer aktiven, ihre Sucht verharmlosenden Raucherin etwa war ein riesiger, laut Wikipedia rund 85 Millionen Mal angeklickter YouTube-Hit.

Ein späteres Video leitete dann die Transformation Jonathan Brees in die Gesichtslosigkeit ein: Im Clip zu "You’re So Cool", dem Vorboten zu seiner dritten LP, "Sleepwalking" (2018), verhüllen der Protagonist und seine Band ihre Gesichter mit Spandex-Masken und tragen Perücken. Mit dieser Anonymisierung vollzog Bree, auch ein versierter Produzent, Betreiber des Labels Lil’ Chief Records und an sich eher der Typ der musikalischen Universalisten, auch eine Konzentration auf einen cinematischen Orchester-Pop, der vermutlich Burt Bacharach gewisse anregende Impulse verdankt und im Einzelfall einmal mehr Richtung 60er Jahre, dann wieder, wie bei Brees neuer LP, "Pre-Code Hollywood", Richtung Disco und New Wave tendiert.

Dieses Format wiederum betont eine weitere Auffälligkeit an Jonathan Bree: Mit seinem Bass-Bariton klingt er bisweilen wie ein Zwillingsbruder von Stephin Merritt (vielleicht der "Evil Twin", den sich der Magnetic-Fields-Kopf in einem seiner besten Songs wünscht?): eine Spur gesünder vielleicht, allerdings auch stressanfälliger in exponierten Lagen - aber dieses gravitätische Eingraben in den tiefen Bereichen kann auch er sehr schön.

Pop-Belcanto

Der Titel "Pre-Code Hollywood" bezeichnet die künstlerisch ergiebige Spanne von der Etablierung des Ton-Films bis zum sogenannten Hays-Code von 1934, der die Darstellung von und Auseinandersetzung mit sexuellen und kriminellen Themen in Hollywood-Produktionen "reglementierte". Außer im Titelsong, in dem Bree gewissermaßen seine Dienste als Mann fürs Unerhörte anbietet, spielt diese Epoche auf der LP aber keine Rolle. Viel mehr dagegen eine fundamentale Überforderung durch eine undurchschaubar gewordene Welt, in der selbst die urbane Stahl-und-Glas-Architektur als Zumutung erlebt wird.

Musikalisch gibt sich das, mit Gästen wie Princess Chelsea sowie Chic-Legende Nile Rodgers als Co-Autor und -Produzent von zwei Stücken, mit ziemlich stereotypen Streichern und käsigen Keyboards ostentativ billig. Und entfaltet Schritt für Schritt eine eindrucksvolle Grandezza. So schwingt sich "We’ll All Be Forgotten", das an die Hinfälligkeit allen Tuns und Strebens gemahnt, zu einem hymnischen Stück Pop-Belcanto auf, das es mit den Größten dieses Fachs wie Phil Spector, Roy Orbison oder dem Bruce Springsteen von "Born To Run" aufnehmen kann.