Dass Gangster-Rapper gern mit Reimen schocken, gehört zu ihrem Geschäftsmodell. Dass ein Popsong allerdings deshalb in der Kritik steht, weil er die Regeln der deutschen Grammatik verletzt, ist lange her. Ein besonders prominenter Fall ereignete sich 1965: Der Schlagersänger Drafi Deutscher war mit seinem "Marmor, Stein und Eisen bricht" in die Hitparade eingestiegen, landete damit aber nicht im Bayerischen Rundfunk. Die dortigen Verantwortlichen weigerten sich aus sprachlichen Gründen, den Ohrwurm in ihr Programm aufzunehmen. "Marmor, Stein und Eisen bricht" sei kein korrekter Satz. Es müsste "brechen" heißen, denn das Subjekt steht im Plural.
Mit solchen Makeln, aber auch schiefen Sprachbildern und anderen Hoppalas in Poptexten befasst sich Michael Behrendt in seinem neuen Buch: "Mein Herz hat Sonnenbrand" (der gleichnamige Schlager stammt vom semantisch wenig zimperlichen Bata Illic) präsentiert auf rund 200 Seiten einen bunten Strauß Stilblüten.
"Potenter als ein Ochse"
Auf den ersten Blick ist es natürlich schade, dass sich Behrendt nicht auch Popsongs der englischsprachigen Welt vorgeknöpft hat - er hätte Jim Morrisons "Pennäler-Poesie" (wie sie in Jim Derogatis Rant-Sammelband "Hall of Shame" genannt wird) zerlegen können oder die Pathos-Psalme von U2. Aber dergleichen überlässt der deutsche Autor lieber Native Speakern, und das kann man nachvollziehen.
Weniger verständlich ist allerdings, dass Behrendt einen Bogen um den Austropop der 80er und 90er Jahre macht. Schade: Da hätte man Boris Bukowskis erratische Reime würdigen können ("Zeit zu gehen, Zeit zu bleiben / Zeit in kleine Scheiben schneiden" heißt es in "Trag meine Liebe wie einen Mantel") oder etwa Reinhold Bilgeris visionäre Vorwegnahme der heute so schicken Polyamorie ("Im In Love With Two Ladies"!). Seufz.
Behrendt konzentriert sich, wohl auch aus Quotengründen, auf Pop aus Deutschland jüngeren Datums. Hübsche Fehlleistungen findet er auch dort, nicht zuletzt dank des Gangster-Rap mit seinem Drang zur Drastik. Da ist etwa der Obermacho Kollegah, der sich in "Klick Klick" selbst ein Denkmal setzt in einer Welt aus schweren Jungs und leichten Mädchen, aber an einer Metapher strauhelt: "Ein Abteil weiter, Handflächen knallen auf Booties, / Groupies lassen die Hüllen fallen wie ne ballernde Uzi." Was soll das heißen? Dass sich die Groupies des HipHops so rasant entkleiden, dass sich ihre Textilien dabei in tödliche Projektile verwandeln - ratatatata? Auch eine Prahlerei des Rappers Kool Savas ging peinlich in die Hose. Der sagte, er sei "potenter als ein Ochse". Ebenso gut hätte er sich intelligenter als Stroh nennen können.
Groteske Vergleiche können aber auch in familienfreundlichem Pop auftauchen, etwa in Mark Forsters Lied "Bauch oder Kopf". Das beschreibt einen inneren Konflikt mit einem ziemlich fragwürdigen Zweizeiler: "Bauch sagt zu Kopf Ja, doch Kopf sagt zu Bauch Nein. / Und zwischen den beiden steh ich." Es steht hier also ein Mann zwischen seinem Bauch und seinem Kopf: Man will es sich optisch nicht vorstellen. Xavier Naidoo, Goldstimme des deutschen Soul, aber ein Großmeister schiefer Metaphern, hat einen ähnlichen Sprachunfall gedichtet: In "Zeilen aus Gold" beschreibt er Selbstbetrug mit den wenig brillanten Worten: (Ich) "lüg mir zu oft ins Gesicht mit dem, was ich bin."
Wie aus dem Zufallsgenerator
Es gibt aber auch Lieder, die ihren Hä?-Effekt erst bei genauerem Hinhören entfalten. Zum Beispiel "Applaus, Applaus" von Sportfreunde Stiller - eine Lobeshymne für den Jahrestag mit dem besten aller möglichen Beziehungspartner, will man meinen. Der Refrain drückt dieses Lob anfangs auch noch recht klar, wenn auch patschert aus: "Applaus, Applaus / für deine Art mich zu begeistern." Der Folgesatz sorgt aber für Stirnrunzeln: "Hör niemals damit auf." Echt jetzt? Hör niemals damit auf, mich zu begeistern? Das klingt großkotzig. Und die besungene Beziehung wirkt asymmetrisch: Als wäre da einer für tolle Leistungen zuständig, der andere nur für gönnerhaften Beifall.
Apropos: Revolverheld haben einen ähnlich seltsamen Song geschrieben, der es nicht in Behrendts Buch geschafft hat. Auch hier soll Liebesglück beschworen werden, doch der (vermutlich unfreiwillige) Subtext lässt Abgründe erahnen: "Ich lass für dich das Licht an, obwohls mir zu hell ist / Ich hör mit dir Platten, die ich nicht mag / Ich bin für dich leise, wenn du zu laut bist" und so weiter und so fort. Das soll Liebe sein? Psychologen nennen das passive Aggression.
Völlig ratlos steht man dagegen gewissen Songs Herbert Grönemeyers gegenüber. Das liegt nicht primär an der notorisch schwammigen Artikulation des Bochumers, sondern an der Eigenart seiner Lyrik. Kein Zweifel: Grönemeyers Faible für knappe, unverhoffte Sätze hat grandiose Texte hervorgebracht. Aber auch heillos komische. Einen Höhepunkt findet Letzteres in "Schiffsverkehr": "Entfalte meine Hand, / Die Anker los, / denn auch jedes Tief dreht sich ins Hoch / Fall auf meinen Fuß, / Die Feuer sind gesetzt, / und die Nebel leuchten." Worte wie aus dem Zufallsgenerator.
Ein Rätsel lässt sich übrigens auch in einem denkbar simplen Song finden - in Udo Jürgens "17 Jahr, blondes Haar", getextet von Thomas Hörbiger. Die schlichte Geschichte, die hier erzählt wird: Mann sieht Frau, Frau verschwindet im Großstadtgetriebe, Mann sucht Frau und ruft sich ihr Bild ins Gedächtnis: "17 Jahr, blondes Haar, so stand sie vor mir." Preisfrage: Woher kennt er eigentlich ihr Alter?