Kürzlich hat es Ed Sheeran vor Gericht vorgeführt, der Rest der Welt kann sich nun in einer Doku ansehen, wie der Hitfabrikant seine Hits fabriziert. Da sitzt er mit seiner Gitarre im Kreis von wenigen Mitarbeitern und fügt Reime in Melodien, und das kann recht schnell gehen. Sechsmal, so erzählt der britische Popstar da, habe er Songs in einer halben Stunde geschrieben. Nun hat Sheeran am Donnerstag einen Prozess gewonnen, in dem ihm vorgeworfen wurde, er hätte sich für "Thinking Out Loud" bei Marvin Gaye bedient. Schon einmal stand Sheeran wegen Plagiats vor Gericht, auch damals gewann er. In der Doku sagt er dazu entwaffnend simpel: "Es ist beleidigend, wenn dir das Talent, einen Song in 30 Minuten zu schreiben, abgesprochen wird." Nicht einmal sein Anwalt wollte ihm das erst glauben.
Die Doku "The Sum Of It All", ab sofort auf Disney+ zu streamen, macht freilich deutlich, dass der Prozess um "Shape Of You" immer noch ein vernachlässigbares Übel in seinem Annus horribilis 2022 war. Es beginnt ganz harmlos, man sieht den kleinen Ed mit der dicken Brille, man sieht ihn am Cello üben und verschmitzt lächeln. Man sieht ihn sich über seinen Song "The A Team" im Autoradio freuen, dazwischen sieht man ihn bei seiner Stadientour 2022 singen. Und dann tritt seine Frau Cherry auf, und weil man weiß, dass dieses Paar sein Privatleben eher nicht kardashianig in der Öffentlichkeit ausbreitet, ist jetzt schon klar, dass es ernst wird. Darüber täuscht auch nicht hinweg, wie die beiden, immer noch in der Normalo-Rolle, die Sheeran so gut steht, so wie alle normalen Menschen begeistert eine Verlobungsgeschichte erzählen, die überhaupt nicht außergewöhnlich ist.
Anfang 2022 wurde bei Cherry ein Tumor im Arm gefunden, die Prognose war sehr schlecht. Zudem war sie schwanger, eine möglicherweise sofort nötige Behandlung hätte eine erzwungene Frühgeburt mit sich gebracht. Einen Tag, nachdem klar war, dass die Erkrankung doch glimpflich verlaufen könnte, starb einer der besten Freunde Sheerans. Jamal Edwards hatte mit seinem Musikkanal SBTV die Karrieren einiger britischer Künstler, eben auch Sheerans, in Gang gebracht.
Tribut und Trauerarbeit
Die Doku folgt Sheerans Trauerarbeit: Bei einer Geburtstagsparty hält er die fröhliche Stimmung nicht aus, er fährt lieber die Stationen der Freundschaft in London ab. Einmal umarmt und tröstet ihn sein Bodyguard, der nun mal der einzige Freund ist, den er dabei hat. Er entschließt sich, einen alten Song ("Eyes Closed") neu aufzunehmen: Eigentlich ein Trennungslied, das erzählt, wie man den/die Ex an allen früher gemeinsamen Orten immer noch spürt. So kann es einem mit Verstorbenen noch viel mehr gehen. Das Video dazu dreht er im Fußballstadion, nur er und Sitzreihen, die "Jamal" ergeben.
Über weite Strecken ist diese Doku also ein Tribut an Jamal Edwards. Sie ist aber auch eine Art Rechtfertigung: Bei einem Spezialauftritt, bei dem Sheeran die Lieder von "- (Subtract)" singt, die er zur Verarbeitung seiner Traumen geschrieben hat, muss er auf der Bühne weinen. Er schämt sich, weil von ihm erwartet wird, die Leute zu unterhalten, nicht sie runterzuziehen. Ist es Pose? Es wirkt nicht so. Interessant ist es allemal, einem Künstler dabei zuzusehen, wie er damit umgehen lernen muss, dass das, was er als Therapie gemacht hat (Lieder schreiben) seine Wunden in Zukunft (wenn er diese Lieder singt) immer wieder aufreißen wird.