Wenn man nicht gerade als pummelige Dragqueen mit silbernem Stanniolstern am Kopf (Verka Serdushka für die Ukraine, 2007) oder als gehörntes Metal-Monster (Lordi für Finnland, 2006) aufgetreten ist, dann blieb man als männlicher Teilnehmer beim Eurovision Song Contest zumeist nicht durch sein ausgefallenes Outfit in Erinnerung. Lange wurde das offenbar nicht als Wettbewerbsverzerrung gesehen. Frauen hatten immer einen offensichtlichen Startvorteil: Kleidersäume lassen sich viel effektiver vom Luftzug der Windmaschine streicheln als Hosenbeine. Männer sehen in Folklore-Hemden immer ein bisschen nach Balkanwestern aus. Trickkleider, die sich mit einem Handgriff von lang in mini verwandeln lassen, waren seit jeher ein beliebter dramaturgischer Winkelzug, der sich bei Anzügen nie so wirklich durchsetzte und der in den letzten Jahrzehnten fortschreitende Trend zur Ganzkörperstrumpfhose mit Genitalversteck blieb auch eine weibliche Modedomäne auf der Bühne des Song Contests.

Denkwürdige Garderobe

Aber dann kam Måneskin. Die italienischen Glamrocker gewannen 2021 als erste Männer, die nicht in einem schlichten Anzug, Shirt oder anderer schwarzen oder blauen Hosen-Jacken-Kombination angezogen waren. Und o.k., nicht im Monsterkostüm. Halt, Moment, was ist mit ABBA, werden jetzt besonders Findige einwenden: Das waren die 70er, und die Männer hatten einfach dasselbe an wie die Frauen. Gilt also nicht. Mit ihren vom italienischen Luxuslabel Etro gestalteten Lederlatzhosen mit Punk-Naht jedenfalls beflügelten Måneskin einen Trend, der den ESC-Männern Modemut machte. Und die Früchte sieht man heuer besonders drastisch. Die Auftritte in einem banalen Anzug kann man an einer Hand abzählen. Und wenn schon nur schlichtes Sakko, dann wird noch eine Perlenkette angelegt. Ganz im Stil von Popstar Harry Styles, der im Übrigen bei den ESC-Kollegen durchaus Outfit-Tantiemen verlangen könnte, wenn es so etwas gäbe.

Einen Daunen-Bolero in Neongrün kann nicht jeder tragen, Käärijä aus Finnland probiert’s. 
- © afp / Paul Ellis

Einen Daunen-Bolero in Neongrün kann nicht jeder tragen, Käärijä aus Finnland probiert’s.

- © afp / Paul Ellis

Sein Faible für unerwartete Zusammenstellungen, schmale Schlaghosen-Silhouetten, Glitzer-Extravaganza und die Selbstverständlichkeit, mit der er "weiblich" konnotierte Mode reklamiert, hat nicht nur den Iren im Pailletten-Strampler (ausgeschieden), den Dänen im rosa Funkelanzug (ausgeschieden) und die Slowenen in den psychedelisch gemusterten Seidenblusen (im Finale) inspiriert.

Freilich geht nicht jede exzentrische Kleiderwahl auf Styles’ Konto. Die überraschende Dominanz von kurzen Hosen, vor allem in Pink, scheint sich an den Pariser Fashion Shows für Herbst/Winter 23 zu orientieren, in denen die saisonal unabhängige Beinfreiheit auch für Männer propagiert wurde. Der Finne Käärijä mit seinem schrulligen neongrünen Daunenbolero über dem Sixpack wiederum hat etwas ganz Eigenes in Sachen denkwürdige Garderobe geschaffen.

Nun könnte man sagen, unter diesen Bedingungen müssen sich die Damen jetzt warm anziehen. Allerdings ist eher das Gegenteil der Fall. Denn nur an den Ganzkörperstrumpf mit Genitalversteck traut sich auch heuer keiner der männlichen Teilnehmer. Er bleibt die letzte sichere Bank für die Ladys.