Gold. Beim britischen Popstar Sam Smith ist am Donnerstag alles Gold. Das Eröffnungsoutfit: goldene Kapitänsmütze, goldene Hose, goldenes Korsett. Die Kulisse: ein riesiger nackter goldener Körper. Er rekelt sich über die ganze Bühne, auf der einen Seite liegt der Kopf, auf der anderen die Füße. Man erkennt nicht ganz, ob es einen Mann oder eine Frau darstellen soll; heute ist das aber sowieso egal. Jedenfalls sehen alle den großen goldenen Hintern, der sich dem Publikum entgegenstreckt und die bunten Farben der Beleuchtung in den Saal reflektiert. "Vienna, how are you doing?" Gekreische. "I love you too."
Schon von Beginn an ist allen klar, heute wird gefeiert. Das Leben, die Liebe, der Schmerz. Ganz besonders sich selbst. Dafür ist Sam Smith, mittlerweile 31 Jahre alt, bekannt. Schonungslose Selbstakzeptanz, verpackt in einer dramatischen, manchmal melancholischen, dabei allerdings immer lasziven Bühnenshow. Die Welt und all ihre Ungeheuerlichkeiten werden für drei Stunden vor den Türen der Stadthalle ausgesperrt. Stattdessen wird getanzt, geweint und gelacht, in einer Menge aus applaudierenden Menschen, die für eine kurze Zeit das Gefühl haben, endlich so sein zu dürfen, so sein zu müssen, wie sie wirklich sind.
Love, Beauty & Sex
Liebe, Schönheit und Sex. Das sind die drei Themenblöcke, die sich durch Sam Smiths gesamten Auftritt ziehen. Mehrmals wird sich dabei umgezogen. Mal wechselt Smith in ein bauschiges, bodenlanges violettes Couture-Kleid, dann in einen engen schwarzen Anzug, natürlich mit tiefem Ausschnitt, was sonst, und am Ende kann man das Gesangstalent auch noch im schwarzen Korsett samt Netzstrumpfhose bewundern. Extravagant ist jedes Outfit, oft sogar ein bisschen "camp" - eine heute angesagte amüsante Theatralik, Exzessivität, die gute Laune macht. Und genau das soll Smiths Tour "Gloria" auch ausstrahlen. Es geht darum, sich nicht zu verstecken, die eigene "Queerness", den eigenen Körper, sich selbst als Ganzes zu zelebrieren und sich nicht von einer faden und ängstlichen Mehrheitsgesellschaft aufhalten zu lassen. Das sieht man auch im Publikum. Viele haben sich schick gemacht, Netzoberteile und hohe Schuhe angezogen, pinke Fächer eingepackt. Ein ganzer Saal bricht heute aus sich selbst heraus, lässt sich nicht mehr in Geschlechterrollen oder gesellschaftliche Stereotype quetschen.
Das liegt auch an Sam Smith. 2017 erklärte der bis dahin hauptberuflich unscheinbare Popstar seine Geschlechtsidentität als nichtbinär, verwendet keine männlichen Pronomen, sondern "they/them." Smiths große Hits sprechen wahrscheinlich auch deswegen vielen aus der Seele, sie spiegeln die großen Themen, die großen Fragen vieler hier im Saal wieder, lassen sich dabei aber wunderbar über jede Lebenslage überstülpen, jeder findet etwas, mit dem er sich identifizieren kann. So singen am Donnerstag auch alle mit. Man hört sie bei jedem Song als dauerhaftes Rauschen im Hintergrund, egal ob bei Balladen wie "Stay with me" und "Too Good at Goodbyes" oder Popnummern wie "Unholy." Letzteres wird allein auf der Videoplattform TikTok bei zweieinhalb Millionen Videos verwendet. Als die ersten Töne erklingen, sind alle im Publikum in hellem Aufruhr. Es ist das letzte Lied, aber darauf hat jeder hier am meisten gewartet. "Mummy dont know daddys getting hot, at the body shop, doing something unholy." Smith wedelt auf der goldenen Bühnenskulptur mit einem Dreizack herum, hat rote Teufelshörner auf dem Zylinder. Es ist das Grande Finale. Und eine Grande Absage an das Konservative.
Als die Lichter wieder angehen und sich alle aus der Stadthalle hinausschlängeln, blickt man in selige Gesichter. "Slay" hört man vereinzelt, oder "Ikone." Sam Smith hat abgeliefert.
Vielversprechende Vorband
Besonders aufgefallen ist auch der Supporting Act, Smiths Ein-Frau-Vorband. Die britische Popsängerin Cat Burns stimmte den Saal schon auf die Stimmung des Abends ein: "Wenn queere Menschen heute hier sind, das ist für euch." Die 22-Jährige repräsentiert mit ihrer nonchalanten Art nicht nur hervorragend ihre Generation, sondern bewies sich zudem als begnadete Sängerin. In ihren Songs verarbeitet sie Thematiken, die besonders junge Menschen beschäftigen. Eine erfrischende Abwechslung, die der Musikindustrie noch guttun wird.