Ein paar Fans jubeln schon, als der Schlagzeuger beginnt sein Instrument einzustimmen. Die Stadthalle ist zu dem Zeitpunkt noch nicht ganz gefüllt, Herbert Grönemeyer wird erst in einer Stunde auftreten. Sein "Das ist los"-Tourstopp in Wien ist am Mittwoch ausverkauft, die Stimmung schon bei seiner Vorband "Schmyt" prächtig. "Herbert", brüllt jemand von der letzten Reihe nach vorn. Als Herbert dann endlich auf die Bühne kommt, bebt der ganze Saal. Die angestaute Spannung entlädt sich in einem tosenden Applaus, minutenlang. "Manchmal legt der Tau sich auf mich. Und dann werd‘ ich leise traurig" ("Tau"). Grönemeyer steht vor einer vergleichsweise einfachen Kulisse, sie leuchtet zwischenzeitlich orange, dann wieder rot oder violett. Er spielt Klavier, wenn er jenes gerade nicht braucht, versinkt es im Boden; er selbst ist die Show, mehr braucht es heute nicht. Er trägt ein graues Sakko, eine schwarze Hose; seine Band hat er hinter sich einquartiert, eine Art Brücke ragt in die Menschenmenge, verbindet ihn mit seinem Publikum. "Was für ein Empfang. Guten Abend, Servus, Wien! Bah! Welche Wucht!"

"Bah! Bah! Bah!"

Der 67-Jährige veröffentlichte heuer im März sein sechzehntes Album. "Das ist los" heißt es und behandelt die drängenden Themen unserer Zeit; es versucht wieder zusammenzuführen, was auseinandergebrochen ist, die Gesellschaft ein wenig miteinander zu versöhnen. Grönemeyer gibt sich darauf vor allem ermutigend: "Fesch sein, frech sein. Keiner kriegt uns jetzt klein" ("Angstfrei"). An Optimismus mangelt es dem Publikum am Mittwoch freilich nicht, hier hat keiner Panik vor der Zukunft, im Gegenteil, alle sind dort "fesch" und "frech", genauso wie Herbert es singt. Seit vier Jahren war Grönemeyer nicht mehr auf Tour, wegen einer Corona-Infektion musste er eine geplante im Vorjahr absagen. Seine Fans haben derweil sichtlich fest auf ihn gewartet. Egal wo man hinsieht, es recken sich ihm Hände entgegen, jeder hier ist textsicher, grölt mit. Einmal ist es so laut in der Halle, dass Grönemeyer seinen Einsatz versäumt, bei "Sekundenglück" muss er von vorne beginnen. "Ich hab‘ es nicht gehört, ich hab mich einfach hingegeben", sagt er. Grönemeyer gelingt es wunderbar, die Energie der Menge zu kanalisieren, dirigiert sie, zeitweise sichtlich gerührt, durch den Abend; springt über die Bühne, klatscht und tanzt, feuert seine Fans vor ihm an: "Tanz, Wien, tanz!" Grönemeyer spielt alle Lieder, die die Menschen an diesem Abend hören wollen, von "Bochum" über "Männer" bis hin zu "Musik nur, wenn sie laut ist." Bei "Der Weg" verwandelt sich die ganze Halle in ein Meer aus Handytaschenlampen. Bei "Mensch" in eines aus wedelnden Armen, von links nach rechts. "Momentan ist richtig. Momentan ist gut. Nichts ist wirklich wichtig. Nach der Ebbe kommt die Flut." Dazwischen schreit Grönemeyer immer wieder: "Bah!" Es bricht förmlich aus ihm heraus. "Bah! Bah! Bah!"

Fünf vor Zwölf

Schon im Vorhinein war klar: Seine Tour steht im Zeichen der Menschlichkeit. "Multiple Krisen treffen auf vielfältige Ängste, auf Sorgen und Unsicherheiten. Wie reagiert man, wie antwortet man auf diese Zeit? Mit Hoffnung. Mit Mut. Und vor allem mit: Zusammenhalt", steht auf seiner Homepage. Grönemeyer betont das während seines Auftritts wiederholte Male. Heute geht es ums "gemeinsam stehen." Bevor er seinen Song "Schlüssel" beginnt, weist er darauf hin, wie wichtig Hilfe für geflüchtete Menschen ist, egal ob hier oder in Deutschland. "Wir werden alle an dem gemessen, wie wir anderen beigestanden haben." Bei "Oh Oh Oh" appelliert er, sich für einen anständigen Klimaschutz einzusetzen, stellt sich auf die Seite der demonstrierenden Jugendlichen. "Es ist fünf vor zwölf, wenn nicht schon zwölf!" Gegen Ende widmet er sein "Turmhoch" den Frauen und ihrem Kampf gegen das Patriarchat. Grönemeyer spielt ganze drei Stunden, über 30 Songs. Er muss elf Zugaben geben, das Publikum ruft ihn immer wieder zurück auf die Bühne. Er beendet den Abend mit "Einmal nur in unserem Leben." "Oh, die Band ist schon weg!", bemerkt er. Das Keyboard spielt er selbst. "Darum öffnet eure Pforten, lasst vertrautes Glück herein. Heute soll an allen Orten, Liebe nah der Liebe sein."

Der letzte Applaus dauert knapp zwei Minuten. Standing Ovation. Sein Publikum ist zufrieden. Grönemeyer offensichtlich auch. "Bah!".