Am 29. Juli 1966 wurde ein dürrer junger Mann, das Pop-Idol seiner Zeit, ins Middletown Hospital in der Nähe von Woodstock gebracht. Die Verletzungen, die von den Ärzten festgestellt wurden, waren für einen Motorradunfall nicht unüblich: Gehirnerschütterung, eine angeknackste Wirbelsäule und Rissquetschwunden. Eine Woche Spitalsaufenthalt und einige Monate Erholung sollten reichen, um den Verletzten wieder auf die Beine zu bringen. Doch Bob Dylan kam als ein Anderer aus dem Krankenhaus, menschlich und künstlerisch verändert, gereift, die Zeit als Popstar hinter sich lassend.

Ausfahrt mit Folgen: Bob Dylan auf seinem Triumph-Motorrad. Foto: Sony
Ausfahrt mit Folgen: Bob Dylan auf seinem Triumph-Motorrad. Foto: Sony

Mit der tragischen Ausfahrt mit dem Triumph-Motorrad waren fünf frenetische Jahre zu Ende gegangen, in denen der in Duluth geborene Robert Zimmerman als Bob Dylan zunächst die Folk-Szene Amerikas erobert hatte, als Sprachrohr der Protestbewegung ins Rampenlicht der politischen Auseinandersetzungen geriet, um schließlich mit einer Rock-Band die Hitparaden zu erobern und für Hysterie und Kontroversen zu sorgen.

Doch wie konnte es so weit kommen, dass ein pausbäckiger Knabe mit eindringlicher, aber nicht gerade sonorer Stimme, einer handvoll verstaubter Folkballaden im Repertoire und bescheidenen Gitarrenkenntnissen in so kurzer Zeit zum Mythos wurde? Filmemacher Martin Scorsese versucht in seinem vierstündigen Werk "No Direction Home" das Geheimnis zu lüften. Mit Hilfe von zahlreichen Interviews mit Weggefährten des Künstlers, Filmschnipsel und Konzertausschnitten werden die Anfänge der Karriere von Dylan nachgezeichnet. Vom Aufwachsen im trostlosen Hibbing, einem Agrar- und Bergbaustädtchen in Mittleren Westen der USA, wird ebenso berichtet wie von den ersten Monaten in New York, dem legendären Auftritt beim Newport Festival und von der umstrittenen Europatournee. Zu Wort kommt dabei auch Dylan selbst, der mit ungewohnter Offenheit und manchmal mit einem verschmitzten Lächeln von seinem Leben erzählt.

Als roter Faden dient dabei "Like A Rolling Stone", der einzige Nummer-1-Hit Dylans in den USA. Die Bilder von entsetzten Fans, die in Interviews ihrem Frust Luft machen: "Ich habe Karten für ein Dylan-Konzert und nicht für das einer Pop-Band gekauft" sind typische Aussagen. Bei ausverkauften Konzerten wird gekreischt, gebuht, provoziert und demonstriert. Dylan wird mit faulen Eiern beworfen. In Newport verabschiedet er sich 1965 von den Folk-Fans mit einem "It´s All Over Now, Baby Blue", bei späteren Konzerten zieht er sie mit Zeilen wie "Something is happening, but you don´t know what it is, do you Mr. Jones" durch den Kakao.

"Ich werde mir nächste Woche einen neuen Dylan besorgen" , sagt der sichtlich erschöpfte Songwriter während der Tour 1966 zu seiner Band. Die ironische Backstage-Aussage sollte sich bewahrheiten. Nur wenige Monate später gab es einen "neuen Dylan", der sich von den Zwängen des Pop-Geschäfts befreit hatte.

Nachdem Scorseses Film-Dokumentation in den USA und in Großbritannien im TV ausgestrahlt sowie in Wien bei der Viennale gezeigt wurde, ist sie nun als Doppel-DVD erhältlich. Zum Werk gibt es Bonusmaterial, wie diverse Live-Auftritte und Promotionspots.

Zur DVD ist auch eine Doppel-CD, der siebente Teil der Bootleg-Series, mit chronologisch geordneten, meist unveröffentlichten Takes erschienen. Besonders bemerkenswert: Das Album enthält die wohl erste auf Band festgehaltene Dylan-Aufnahme ("When I Got Troubles") aus dem Jahr 1959. Alternative Versionen von "Highway 61 Revisited" oder "Desolation Row" sind absolut hörenswert, genauso wie Dylans elektrisch verstärktes "Maggie´s Farm", das 1965 beim Newport Festival den Folk-Veteranen Pete Seeger fast dazu gebracht hätte, das Stromkabel mit einer Axt zu durchtrennen.

No Direction Home - Bob Dylan. Ein Martin Scorsese Film. (Paramount/Rainbow)

Bob Dylan: No Direction Home. The Bootleg Series No. 7 (Columbia/Sony BMG)

Bob Dylan: No Direction Home. The Bootleg Series No. 7 (Columbia/Sony BMG)