Rangun. Kyaw Kyaw tappt durch das dunkle Zimmer, vorbei an der schlafenden Familie. Seine zwei Freunde schleichen vor ihm her, schieben das Tuch beiseite, das den kleinen Wohnraum von der schäbigen Küche trennt. Es ist Mittwochabend, kurz nach Mitternacht in Rangun, der früheren Hauptstadt Burmas. Kyaw Kyaw, ein dünner Kerl mit schulterlangen, pechschwarzen Haaren, kramt sein Handy hervor, um Musik abzuspielen. Die nebenan würden den Lärm schon kennen, sagt er lächelnd. Aus dem Handy schrillt der Song "I am against it" von den Ramones. Hart, schnell, wütend.
Das Lied ist für den 25-Jährigen eine Hymne. Er ist ein Punk. Anderswo wäre das nicht weiter erwähnenswert. Doch Burma war Jahrzehnte abgeschottet. Abweichungen von der Norm und kritische Worte können hier Gefängnis oder Arbeitslager bedeuten. Und auch wenn Burma nun seit Monaten von sich reden macht, weil die Regierung politische Gefangene freilässt und tiefgehende Reformen einleitete - seinen richtigen Namen will Kyaw Kyaw nicht veröffentlicht sehen. Er denkt, es sei besser, sich weiter in Acht zu nehmen.
Hass auf die Regierung
"Ich hasse unsere Regierung", sagt Kyaw Kyaw, er redet langsam und leise. Er mag Schimpfworte. Der Staat sei "Scheiße", "verlogen" und überhaupt sei vieles "fucking shit". Er spricht von der "Chancenlosigkeit in unserem Land", der "Korruption der Politiker" und den "Ungerechtigkeiten", mit denen er sich tagtäglich konfrontiert sieht. Wer hier arm auf die Welt komme, bleibe arm. "Im Kopf sind wir frei. Aber nur da", sagt Kyaw Kyaw.
Und doch - was einst undenkbar war, ist jetzt möglich: Auf Facebook hat Kyaw Kyaw schon über 5000 Freunde aus aller Welt, viele von ihnen ebenfalls Punks. Er postet täglich von der Arbeit aus Bilder von sich und Regimekritisches im Internet. "Weil ich will, dass die Welt von uns erfährt", sagt er. Die Sehnsucht der Burmanesen nach Freiheit scheint nicht mehr ganz so aussichtslos. Kyaw Kyaw ist für einen Punk ungewöhnlich optimistisch: "Die Regierung kann den Willen des Volkes nicht mehr länger ignorieren", sagt er. "Wir werden uns langsam öffnen."
Tagsüber trägt Kyaw Kyaw Jeans und enge Hemden, ein Haarreif hält die langen Haare aus dem Gesicht. Nur die auf die Größe einer Euro-Münze gedehnten Ohrläppchen fallen auf. Er arbeitet in einer Fabrik in der Buchhaltung und wohnt mit den Eltern in einem Zimmer. Abends zieht er zerfetzte Shirts an, schnürt seine DocMartens, schnallt sich einen Nietengürtel um, sprayt die Haare zu Irokesenform und trifft Gleichgesinnte.
Etwa 200 Punks leben in Rangun, schätzt Kyaw Kyaw. Die Szene belebt sich in der Nacht. Dann trifft man sich bei Freunden, die ein wenig Platz haben und deren Familien es dulden. Man hört Musik, schaut Filme, raucht, trinkt Bier. Weil es an Geld fehlt, müssen sie improvisieren. Ihre Doc-Martens bekommen sie gebraucht von einem Freund, der Punk-Accessoires vertreibt. Die Outfits schneidern viele selbst. "Wir können nicht den ganzen Tag Punk sein, weil wir unseren Lebensunterhalt verdienen müssen", sagt Kyaw Kyaw. "Wer hier Punk ist, der ist es aus Überzeugung gegen den beschissenen Polizeistaat. Für uns ist Punk kein Spaß."
Vor fünf Jahren gründete Kyaw Kyaw eine Band, die Rebel-Riots. Er ist Sänger und Songwriter, die übrigen Mitglieder wechseln. Manche haben keine Zeit mehr neben dem täglichen Überlebenskampf, andere sorgen sich um ihre Familien und steigen deshalb wieder aus. Die Instrumente leihen sie sich, einmal im Monat leisten sie sich einen Probenraum. Trotz der Unbeständigkeit haben es die Rebel-Riots geschafft, einmal in einem Underground-Club in Rangun ein Konzert zu geben. Kyaw Kyaw, der sonst schüchtern wirkt, schrie auf der Bühne seine Wut heraus. Auf dem Video ist der schwitzende Sänger zu sehen, der das Mikrofon in die Luft wirft. "Wir müssen zusammenhalten, um gegen die Unterdrückung anzukommen", brüllt er heiser in den Saal. Die Fans jubeln.
Auflehnung im Denken
Er war 16 Jahre alt, als er den Punk in sich entdeckte, erzählt er. Ihm habe die Respektlosigkeit der Songs gefallen. Seitdem verehrt er Sid Vicious, den 1979 verstorbenen Bassisten der Sex Pistols. Auch "No Future" (keine Zukunft), das Motto der englischen Punk-Bewegung, sprach Kyaw Kyaw an. Er beendete gerade die Schule und ihm wurde klar, dass er wie die meisten Burmanesen keine Perspektive hatte. Damals schlich sich Auflehnung in sein Denken ein. Aber sein Land verlassen? Die Idee sei ihm noch nie gekommen, sagt er. Seine Familie würde er nicht verlassen. Auch Krawall lehnt er ab. Kyaw Kyaw ist gläubiger Buddhist, war mehrere Monate in einem Kloster. Für ihn ist das kein Widerspruch zum Punk-Dasein. Und was sagt die Familie zu seinem zweiten Leben? Nach Meinung der Eltern soll ihr Junge endlich seine Freundin heiraten, statt sich seltsam zu kleiden und komische Musik zu hören. Der Vater ist Polizist, arbeitet für den Staat, gegen den sein Junge sich auflehnt. Er duldet die Parallelwelt des Sohns. "Insgeheim", sagt Kyaw Kyaw, "ist er auch gegen unsere Regierung."