Alex Chilton war ein ganz Großer. Seine Formation Big Star machte unter seiner kreativen Fast-Alleinherrschaft mit ihrem wahlweise "Third" oder "Sister Lovers" betitelten dritten Album eine der vier besten Platten der Pop-Geschichte. Auch außermusikalisch hatte er seine Talente, die ihn unter anderem zu einem Job als Baumtrimmer befähigten - nur Fremdenführer hätte Chilton unter keinen Umständen werden dürfen. In einem wilden, der Jon Spencer Blues Explosion um mehr als ein Jahrzehnt vorauseilenden Rockabilly-Kracher bezeichnet er die gut acht Millionen Einwohner starke thailändische Hauptstadt Bangkok als "little town down in Indonesia". Aber was soll ein Ami schon groß wissen von denen da unten, wenn doch die "Rock ‚n‘ Roll Cities", von denen die Kinks 1986 gesungen haben, eh alle zwischen Buffalo und dem Golf von Mexiko liegen?

Impressionen

Es gibt natürlich schon auch amerikanische Musiker, die nicht nur viel in der Welt herumgekommen sind, sondern davon auch nachhaltige Eindrücke mitgenommen haben. Die Mountain Goats aus Kalifornien haben neben vielen nordamerikanischen Städten auch Rom, Bogotá, Paris, Berlin, Tokio, Budapest, Bangkok, Kalkutta, Lima, Oslo, San Juan (Puerto Rico), Warschau, Seoul oder Stockholm verewigt. Und Salzburg. Mehr als dass sich eine Person für die Nacht auf den Weg in die Mozartstadt gemacht hat, ist dem Text von "They Are Stone Swallowers" aber nicht mit Gewissheit zu entnehmen.

Zach Condon hat mit stimmiger Adaption regionaler Musiksprachen Impressionen aus Bratislava, Brandenburg, Italien, vom Prenzlauer Berg und aus Frankreich für sein Projekt Beirut verarbeitet. Tom Verlaine wiederum verspricht eine "Postcard From Waterloo", beobachtet "5 Hours From Calais" mit unterschwelligem Misstrauen eine (hier nun tatsächlich postkartenwürdige) Idylle und folgt einer Frau namens Mona auf dem schweren Heimweg von "Stalingrad" nach Ziel unbekannt. "Ich habe eine Zeit lang in Paris in der Nähe der U-Bahn-Station Stalingrad gelebt. Dass die so heißt, ergab für mich keinen Sinn. Damit hat der Song eher zu tun als mit dem Krieg. Obwohl da schon auch eine gewisse Konnotation mit Desaster drinnen ist", erklärte Verlaine 1993 dem Autor dieser Zeilen in einem Gespräch in New York.

Geografische Spezifität ist und bleibt in der Popmusik indes die Ausnahme. Grosso modo lieben die Musiker bewährte, massenhaft ausgetrampelte Plätze. Daher dominieren in der Kartografie der international wahrgenommen Popmusik im engeren Sinn der angloamerikanische Raum, im weiteren Sinne der gesamte englische Sprachraum inklusive Australien und bestimmte Plätze in Europa. Riesige Räume sind dagegen noch voller weißer Flecken. Asien ist - mit Japan bzw. dessen Hauptstadt Tokio als Ausnahme - noch nicht so richtig auf die Landkarte gekommen. Afrika ist - außer als "Motherland" für Reggaekünstler und in vereinzelten touristischen Impressionen wie Totos "Africa" - auch noch nicht wirklich ein Thema.