Neil Hannon von The Divine Comedy. - © Raphael Neal
Neil Hannon von The Divine Comedy. - © Raphael Neal

Neil Hannon hat die Zeiten, da er als Hotshot firmierte, längst hinter sich. Vielmehr entfachen heute Neuigkeiten über ihn oder von ihm unwillkürlich einen "Den gibt’s auch noch?"-Reflex. Dass die rhetorische Frage mit Ja zu beantworten ist, ist indes ein Quell der reinen, lauteren Freude. Man weiß, was man bekommt, wenn Hannon unter seinem Alias The Divine Comedy eine Platte macht, und man weiß - selbst unter der Prämisse, dass Hannon vermutlich nie mehr eine Wundertüte wie "Liberation" von 1993 hervorzaubern wird -, dass man davon betört sein wird.

Priester-Sohn

Das letzte Mal, dass sich Neil Hannon "etwas anders" präsentiert hat, war 2001 mit der LP "Regeneration". The Divine Comedy waren da so etwas Ähnliches wie eine richtige Band, die sich mit reichlich Rock-Geholze "entfaltete", und Hannon gab - mit langer Matte und Jeans-Outfit statt seines klassischen Dandy-Looks - den gesellschaftskritischen Aufklärer. Nicht schlecht, das alles, aber buchstäblich ein wenig von der Rolle.

Dabei duchweht seit je auch ein emanzipatorischer Impetus Hannons Inhalte. Klar bekennt sich der 1970 im nordirischen Derry geborene Sohn eines Priesters zu Demokratie und Humanität, zeigt Empathie für Außenseiter und Ausgebeutete. Was den Reiz seiner Texte aber wirklich ausmacht, sind der Witz, ein milder Zynismus und das Zuschaustellen von Bildung mit fünf Ausrufezeichen. Allein der Bandname The Divine Comedy ist, von Dante Alighieris "Göttlicher Komödie" abgeleitet, ein Fingerzeig Richtung Hochkultur.

Wenn Hannon in "The Booklovers" (1994) in feierlichem Tonfall Autoren der Weltliteratur nennt und ihnen (teils in Landessprache) Zitate in den Mund legt oder er im galgenhumorigen Sauflied "A Drinking Song" originalgetreu das Motto der französischen Revolution (Liberté, Égalité, Fraternité) zitiert, dann veräppelt er zum einen das Bildungsbürgertum - und die seit jeher von proletoiden Heldenfiguren wie Slade, Oasis oder Eminem begeisterte Popkultur gleich mit. Dass das Parkett des Bildungskanons auch für einen Neil Hannon rutschig sein kann, zeigte sich allerdings im Booklet von "Liberation", wo der Sänger und Multiinstrumentalist in ironisch gewichtigem Tonfall "The Pop Singer’s Fear Of The Pollen Count" mit Wim Wenders’ Film "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" referenzierte - und eben nicht mit dem Buch Peter Handkes (auf dem der Streifen ja auch basierte).

Unbeirrt von potentiellen Anstreifern an die Schmach der Blamage offenbart Hannon weiterhin seine kulturelle Beschlagenheit. Das neue Divine-Comedy-Album "Foreverland" macht da keine Ausnahme. Ehrensache, dass Hannon in "I Joined The Foreign Legion (To Forget)" die nämliche Fremdenlegion französisch ausspricht. Ebenso, dass er Katharina die Große in perfektem Russisch als Jekaterina Alexejewna adressiert und es sich nicht versagt, Diderot und Voltaire zu erwähnen, mit denen die Monarchin regelmäßig kommunizierte.

Sonorer Bariton

Mit Motown-Streichern und weiblichem Hintergrundgesang erinnert der Einstieg ins Album entfernt an die Band ABC. Mit dem träumerischen Titelsong und Höhepunkten wie "The Pact" und "My Happy Place" aber findet Hannon rasch wieder in jenen pompös und dabei verblüffend transparent orchestrierten Folk-Pop-Sound, der seine Arbeit seit "Absent Friends" (2004) charakterisiert. Ein wunderbares Akkordeon, akustische Saiteninstrumente und Keyboards trotzen der Macht der (fast allgegenwärtigen) Streicher und der (selteneren) Bläser und halten den Sound am Fließen.

Ein paar Ausreißer gestattet sich der stilistisch vielseitige Hannon natürlich auch: "Funny Peculiar" ist einer dieser leichtherzigen, beschwingten Schlager, wie sie gerade große Komponisten so scheinbar anstrengungslos aus dem Ärmel schütteln, während im anfangs a cappella vorgetragenen "Other People" Hannons sonorer Bariton in den Keller rutscht und solchermaßen stark an den Magnetic-Fields-Kopf Stephin Merritt erinnert. Das scheint weniger ein Zufall denn eine bewusste Hommage an einen Geistesverwandten zu sein.