Die historischen Meriten stehen außer Frage. Hey, Debbie Harry als Frontfrau der Mitte der 70er Jahre gegründeten Band Blondie treibt den ihr einst verfallenen, nicht zuletzt männlichen Fans in der Erinnerung noch heute die Freudentränen in die Augen. Von mindestens legendären New Yorker Clubs zwischen Max’s Kansas City und der trotz ihres Namens bestimmt auf kein Gesetzbuch verweisenden Punk- und New-Wave-Brutstätte CBGB im East Village aus gab die Sängerin ein prächtiges Rolemodel, wenn es um weibliche Rock-‘n‘-Roll-Coolness ging.

Pop-Sensibilitäten


Die blonde Frau Harry (deshalb - beziehungsweise ob der Reduzierung auf dieses Charakteristikum von außen - der Bandname) und die Kollegen um ihren Gitarristen, Songwriting-Partner und baldigen (Ex-)Lover Chris Stein standen am Übergang von Punk zu Post-Punk und New Wave vor allem für eines: Sie standen für die Kombination von quengelnden Dreiakkord-riffs mit Pop-Sensibilitäten und Einflussfaktoren zwischen knieweichem Reggae, weißem Funk und etwas Disco. Das zeitigte neben dem heute als popkulturelles Allgemeingut bekannten Hit
"Heart Of Glass" und gerne zwischen Sehnsucht und Angriff wechselnden tollen Songs wie "X Offender", "One Way Or Another", "Dreaming" und "Union City Blue" auch die Giorgio-Moroder-Kollaboration "Call Me" und 1980 ein historisches Kuriosum im Zeichen der kulturellen Aneignung: "Rapture" mit einem doch recht hoppertatschigen Versuch Debbie Harrys, ein damals neues Genre zu umarmen, wurde zum ersten Song an der Spitze der US-Billboard-Charts, der einen Rap-Part inkludierte.

Auch wenn Mike Chapman, der Produzent des Durchbruchsalbums "Parallel Lines", Blondie als egomanischen Sauhaufen erinnert, der keine Instrumente beherrschte und mit der seinerzeitigen Drogenfresserei exakt nichts an seiner Grundgestimmtheit verbesserte, entstanden im kurzen Zeitraum von 1976 bis 1979 doch vier bestens beleumundete Alben. 1980 läutete "Autoamerican" und die darauf gehörte Hinwendung zu Orchestral-Ouvertüren und Broadway-Jazz einen Umbruch ein, der über den kommerziellen Flop "The Hunter" zwei Jahre später zum Absturz führte: Blondie waren Geschichte.

Als eine neue Generation die Band gegen Ende der 90er Jahre für sich entdeckte, wurde die Gunst der Stunde genutzt und mit "No Exit" und dessen hübscher Auftaktsingle "Maria" zum Comeback angesetzt. Dieses brachte auch für die Pensionsvorsorge praktische und vom Publikum stark, allerdings aufgrund des Frühwerks akklamierte Tourneen mit sich: Das bisher letzte Blondie-Album "Ghosts Of Download" erschien 2014 nicht von ungefähr nur als Beilage zu einer Best-of-Kompilation und bot teils dramatischen Elektropop, bei dem man sich an den Songcontest erinnert fühlte. Es stellte sich die Frage, ob da draußen nicht vielleicht doch irgendwo frisches Blut in Form von Kollaborationspartnern lauern könnte, das annähernd relevante oder zumindest wieder hörbare Musik aus Blondie herauskitzeln könnte.

Mit Stangenware


Für den nun erscheinenden elften Streich "Pollinator" (BMG) wurden zwar tatsächlich neue Gäste gefunden - nur leider solche, die entweder keinen Ruf zu verlieren haben (die Youtuber The Gregory Brothers), offenbar nur eine B-Seite zur Verfügung stellen wollten (Sia Furler, Charli XCX) oder sich daran gewöhnen müssen, die längste Zeit cool gewesen zu sein (Dave Sitek von TV On The Radio). Vor allem enttäuscht an diesen Debbie Harry im Alter von 71 Jahren nach "Fun" (so der Titel der Auftaktsingle) lechzen lassenden Songs aber die lieblos als Stangenware gereichte Produktion von John Congleton (St. Vincent, Wild Beasts), der nicht nur mit einer Lawine von Verzerreffekten auf der Stimme und billigen Keyboardsounds schwer an seinem Status sägt.

Positiv betrachtet dürften zumindest das mit Dev Hynes geschriebene "Long Time" und "Already Naked" zu den erfreulicheren Blondie-Songs aus den letzten 18 Jahren gehören. Okay. In Kombination mit dem alten Stoff ist bei möglichen weiteren Konzerten vielleicht doch noch einmal für Freudentränen gesorgt.