Erst vor wenigen Wochen durfte man in der ausverkauften Wiener Stadthalle eine Coverband namens "Beach Boys" erleben, die mit Mike Love als einzigem Originalmitglied ein trotzdem gutes, mindestens sehr nostalgisches Konzert gab. Am Donnerstag wiederum wundert man sich am selben Ort über den Umstand, dass anlässlich eines Abends mit Brian Wilson zum 50. Geburtstag des regelmäßig zu den wichtigsten Alben aller Zeiten gewählten Beach-Boys-Klassikers "Pet Sounds" samt flankierendem Best-of-Set sehr viele unbesetzte Sitzplätze in der ohnehin überschaubaren Halle F ins Auge stechen. Oft gibt es im Leben Missverständnisse. Hallo, Wienerstadt! Der gebrechliche Mann, der gerade händchenhaltend auf die Bühne begleitet wird, um bald am Klavier sitzend "glücklicherweise" eher ins Nichts zu starren als in die Reihen, ist nicht nur der größte tragische, traurig dreinblickende Überlebende der Popgeschichte - er ist der Kopf und Gottschöpfer, er ist die Essenz der Beach Boys. Er ist die DNA!
Üppig ausstaffiert
Flankiert wird der 75-Jährige von Al Jardine, seinem nicht nur vergleichsweise rüstigen Kollegen aus dem Ursprungs-Line-up, dessen mit hübscher Falsettstimme aushelfenden Sohn Matt (Papa ist heute sehr stolz!) und einer insgesamt zehnköpfigen Band, von der immerhin acht Musiker mit himmelhochjauchzendem oder zu Tode betrübtem Doo-ah-doo-ah-Gesang nicht davon ablenken werden, dass sie auch sonst gut beschäftigt sind. Immerhin sollen die als Taschenopern mit Beiwerk zwischen Elektro-Theremin und Fahrradglocke üppig ausstaffierten Songs aus "Pet Sounds" auch live die ihnen inhärente Wirkung einer Materialschlacht nicht verfehlen. Das geht einerseits im Sound und in den Arrangements weiter in die Breite als bei der Paralleltour von Mike Love, und es klingt bei Brian Wilson auf die nackte Musik fokussiert, also ohne nostalgisch-sentimentale Videozuspieler aus einer Zeit vor dem Farbfernsehen, auch etwas wilder.
Dass Brian Wilson nicht mehr singen kann und sich wacker durch einige eher gesprochene Strophen kämpft, passt dazu nicht schlecht. Immerhin ist diese einst naiv-unschuldige Kunst im Zeichen des Abzählreims über erste züchtige Küsse unter dem kalifornischen Mond und Spritztouren mit dem Surfer Girl in Dads Chevy seit der zweiten Hälfte der 60er Jahre schwer vom Leben gezeichnet. Das auch aufgrund zunehmenden LSD-Missbrauchs ins Psychedelische kippende, bereits von Traurigkeit und Tränen kündende "Pet Sounds" als (über-)fordernde Mammutaufgabe für den Gottschöpfer läutete ein, was bald folgen sollte: Der psychische Komplettzusammenbruch, noch mehr Drogen und lange Jahre im Bett. Als frühe gefährliche Vorahnung nimmt das im ersten, mit Songs wie "California Girls", "Dance, Dance, Dance", "I Get Around" oder "Little Deuce Coupe" eigentlich auf heitere Tage der Jugend konzentrierten Konzertteil bereits der Song "In My Room" aus 1963 vorweg. Der klingt zwar wie ein Hosentürlreiber am Abschiedsball, er verhandelt aber schon das Themenreich aus Angst und Rückzug: "Theres a world where I can go and tell my secrets to: In my room. In this world I lock out all my worries and my fears: In my room . . ."