Die Bezeichnung "Ohrwurm" gibt es auf Italienisch nicht. Wenn man Umberto Tozzi also zu erklären versucht, was ein "verme d’orecchio" sein soll, entlockt das dem Pop-Sänger mit seiner bläulichen Brille nur ein müdes Lächeln. Vor ziemlich genau 40 Jahren hat Tozzi einen Hit geschrieben, der bis heute ein internationaler Ohrwurm geblieben ist. "Ti amo" mit seiner wiegenden, monotonen Leidenschaft entstand im Turin des Jahres 1977, Tozzis Heimatstadt. Gerade hat der Sänger seinen berühmten Song zum Jahrestag neu aufgelegt. Im Duett mit der US-Sängerin Anastacia wetteifert Tozzi nun erneut um den Zugang zu den höchsten Gefühlen. Am 1. Dezember ist in Italien sein neues Album "40 anni che ti amo" ("Ich liebe dich seit 40 Jahren") erschienen. Zwei Konzerte gibt Tozzi in Österreich, am 18. März in St. Pölten und am 19. März in Linz.

Hymne des reumütigen Lumps

Wenn sich ein Italiener - auch wenn er aus dem eher unterkühlten Turin stammt - öffentlich zu amourösen Fragen äußert, wirkt das auf Freunde des mediterranen Lebensstils und Temperaments besonders glaubwürdig. Natürlich hat gerade diese südländische Expertise zum Erfolg von "Ti amo" beigetragen. "Ich bin stolz auf dieses Lied", sagt Tozzi heute. Sattgehört an seinem Populär-Meisterwerk habe er sich noch lange nicht. Man mag das glauben oder nicht. "Ti amo" steht für Italien, das Land der freigelegten Emotionen, die Nordländer zugleich anziehen und doch auch ein wenig abstoßen. "Ich finde, ihr Deutschen und Österreicher seid eigentlich auch ein sehr gefühlvolles Volk", sagt Tozzi, der 1979 sein Album "Gloria" in München aufgenommen hat und immer wieder zu Konzerten zurückkehrte. "Ti amo" ist derweil zur weltweiten Chiffre eines hingebungsvollen Bekenntnisses geworden.

Dabei handelt der Song eher von der ungemütlichen Seite der Liebe. Schon 1977 passte der Liebhaber, der von seiner Affäre reuig zurück zum braven Heimchen am Bügeleisen kehrt, kaum in die damaligen gesellschaftlichen Umbrüche. "Das war nicht gegen den Feminismus gerichtet", garantiert Tozzi heute, dem größere Anerkennung in Italien auch deshalb verwehrt blieb, weil er nicht im Strom der linken Liedermacher mitschwamm. "Es gab damals viel Scham. Einer Frau ‚Ich liebe dich‘ zu sagen, das war gewagt", erklärt Tozzi, der sein Lied als "mutige Geste" verstanden wissen will. Tozzi war immer schon zurückhaltend, zu Beginn seiner Karriere schämte er sich sogar, zu singen. Er blieb unpolitisch, konnte aber offenbar mit einem unverstellten Blick in italienische Wohn- und Schlafzimmer überzeugen.

Generationen von Gitarrenschülern verdanken Tozzi ihre ersten Erfolgserlebnisse. Die Akkordfolge von "Ti amo" ist extrem simpel und deshalb eingängig. "Ich wollte etwas Bleibendes schreiben, und das ist mir gelungen", erzählt Tozzi über die Entstehung des Liedes vor 40 Jahren. An bestimmte Frauen habe er als 25-Jähriger beim Dichten nicht gedacht. "Der Song entstand beim Klimpern auf dem Klavier", sagt der Sänger. Acht Millionen Mal verkaufte sich die Single vom italienischen Liebesschmerz damals weltweit und beflügelte Generationen in ihren Träumen.

Das Besondere an "Ti amo" war auch, dass es eines der ersten italienischen Lieder war, das überhaupt die Landesgrenzen hinter sich ließ. Der letzte, dem das vor Tozzi gelang, war Domenico Modugno 1958 mit seinem Schlager "Volare" (Nel blu dipinto di blu). Tozzi ist alt geworden mit seinem Song. Kurz vor dem Jubiläumskonzert im September wurde der 65-Jährige ins Krankenhaus eingeliefert und nur durch eine Notoperation am Dickdarm gerettet. "Das war ein Wunder", sagt der Sänger. "Solange ich noch Spaß habe, mache ich weiter, und gerade habe ich sehr viel Spaß!" Bleibt die Gelegenheit, den Sänger nach der enigmatischsten Passage von "Ti amo" zu befragen, die seine Fans stets im Unklaren ließ. Die betrogene (Ehe-)Frau soll dem "guerriero di carta igienica" die Tür aufmachen, einem "Klopapier-Krieger", um den untreuen Heimkehrer dann in den süßen Schlaf zu wiegen. Was es mit diesem seltsamen Kämpfer auf sich hat, verrät Tozzi nach 40 Jahren des Rätselns. "Na gut", sagt er, "das ist ein bisschen vulgär. Ich wollte einfach ein anderes Wort für Scheißkerl finden", sagt er.