
Das Cover ist etwas irritierend. Das Sujet zeigt eine Familie um einen Vater mit Schießgewehr und erinnert dabei an Sammlungen von "Awkward Family Photos", sofern diese aus den USA im Allgemeinen und aus dem texanischen Hinterland und dem Bible Belt im Speziellen stammen (wer die 2009 gestartete Website gleichen Namens noch nicht kennt, Leute, das ist die Gelegenheit!).
Tatsächlich sieht man auf dem Cover Max Gruber alias Drangsal in Kindheitstagen und seine Familie selbst, allerdings eh nur vor einer handelsüblichen Schießbude auf dem Kirtag, wo man für Teddybären, Plüschhasen oder Kuschelgiraffen mit lustigem Gesicht gegen Bezahlung auf Dosen ballert - falls man aus Zuckerwatte- und Langos-Gründen überhaupt noch eine Hand freihaben sollte.
Irgendein Querbezug zur National Rifle Association wäre dem Herrn Drangsal (der Künstlername, man muss das erklären, bedeutet zwar Leiden und qualvolle Bedrückung, aber schon auch in dem Sinn, dass man das jetzt gar nicht soo schlecht findet) durchaus zuzutrauen gewesen. Sein vor zwei Jahren veröffentlichtes Debütalbum "Harieschaim" war schließlich nach seinem Heimatort Herxheim benannt, der für Massenkannibalismus in der Jungsteinzeit berüchtigt ist und sich entsprechend auch als Reiseziel für Dark-Tourism-Freunde anbieten würde.
Lack- und Lederriemen
Neben einem rezenteren Massenmord in Bayern an Vorfahren Grubers aber war vor allem die zwischen bittersüßem Weltschmerz und strenger Kammer nistende Seelenpein, wie man sie in den 1980er Jahren im Pop kultiviert hat, das bevorzugte Steckenpferd Drangsals. Seine sich daran mit zweifelsohne geschicktem Händchen und sehr gutem Gespür im Malen-nach-Zahlen-Verfahren orientierenden Songs nahmen diesbezüglich keine Gefangenen.
Immerhin ging es auch darum, sich mit Ansagen wie "Do The Dominance" zwischen die alten Lack- und Lederriemen von Depeche-Mode-Mann Martin Gore aus dem Jahr 1986 zu zwängen. Auf dem nun mit dem Titel "Zores" (Caroline/Universal) vorliegenden zweiten Album erweist sich der elektronische Anteil der Produktion aber als deutlich zurückgefahren.
Mit Einfingerkeyboard
Gruber, der in Interviews angenehmerweise nicht mit Meinung geizt und deutsche Popmusik zuletzt als leidige "Schwanzparade" bezeichnete, rundet die heute unverkennbar an Morrissey und den Smiths sowie an Paddy McAloon und dem Edelpop seiner Band Prefab Sprout orientierten Songs mit dem Einfingerkeyboard nur noch ab.
Als weitere zentrale Veränderungen stechen die Konzentration auf überwiegend deutsche Songtexte und Farin Urlaub und Die Ärzte als neue Einflussquelle ins Ohr. Während man darüber noch nachdenkt, ist Drangsal über ein festivaltaugliches Gitarrenbrett aber eh schon wieder bei einem Seemannslied mit Janglegitarren gelandet.
Produziert wurden die zwölf neuen Songs übrigens von Max Rieger und Markus Ganter. Ersterer ist Vorstand des deutschen Trios Die Nerven (siehe Besprechung des Albums "Fake"). Letzterer arbeitet sonst für Deutschrapper Casper, der mit Drangsal bereits eine Gemeinschaftssingle aufgenommen hat und für sein aktuelles Album "Lang lebe der Tod" auch Blixa Bargeld für einen überraschenden und überraschend tollen Gastauftritt gewinnen konnte.
Unterschwelliger, aber gleichfalls gewinnend verdingt sich auf "Zores" wiederum Kristof Hahn von Les Hommes Sauvages (bitte ein neues Album!) und den Noiserock-Heroen Swans aus New York an der Lap-Steel-Gitarre. Nicht zuletzt das mit ihm eingespielte, reinigend mit Standgas im Wall-of-Sound-Format wetternde "ACM" zum Abschluss ist ein Highlight auf "Zores".