Das Maturareisen-Feeling gehörte immer schon dazu. Neu ist diese Ahnung, dass auch die Musik gleich direkt vom Ballermann importiert werden könnte - und es wäre wohl allen hier ein bisschen egal. Das Line-up des Frequency Festivals in St. Pölten driftet heuer ab in einen genrelosen Brei aus all jenen Künstlern, die diesjährig zwischen 16. und 19. August zufällig noch nichts Besseres vorhatten. Und mittendrin spielt Damon Albarn auf seiner Melodica.
Am ersten Tag schaut das Frequency-Gebiet an der Traisen sogar noch recht ordentlichen aus: kaum Müll am Boden, die Toilettensitze auf den Dixi-Klos nur vollgepinkelt und noch nicht vollgeschissen, generell erstaunlich wenig Erbrochenes auf den viel frequentierten Wegen. Das Plastikmeer bleibt für gewöhnlich auch erst nach erfolgreich beendetem Musikgroßspektakel am Gelände des VAZ St. Pölten zurück. Auf der Reise durch die Outskirts der niederösterreichischen Bundeshauptstadt wird einem erst so richtig bewusst, dass sich hier normalerweise Fuchs und Hase gute Nacht sagen - und manchmal eben auch Bastille und die Gorillaz.
Weckruf Urinrieseln
Auf Letztere hatte man am Donnerstag lange zu warten: Der Timeslot von 23.20 bis 1 Uhr machte die Rückreise nach Wien für all jene, die nicht vom sanften Urin-Niesel des Zeltnachbarn geweckt werden wollten, abenteuerlicher, als sie hätte sein müssen. Doch natürlich waren sie es mehr als wert, die Affen: Wenn Damon Albarn singend Publikumshände greift und schüttelt, seinerseits natürlich von zwei starken, tätowierten Security-Armen sanft am gelben Pulli zurückgehalten, dann fühlt man sich zu den guten Tagen des Frequency zurückversetzt. Damals, als Indie Rock und Hip-Hop hier noch in perfekter Symbiose koexistiert haben. Der passt übrigens zur gelben Gitarre im selben Farbton, der Pulli. Als Albarn zwischendurch eine Schweigesekunde für die verstorbene Soul-Ikone Aretha Franklin einlegt, wird klar: Die interessiert auf dieser Veranstaltung niemanden so richtig - ebenso wie die Gorillaz selbst nur mit recht milder Begeisterung empfangen werden. Ah ja, "Feel Good Inc.", das kenn ich aus dem Radio.
Vor den britischen Comic-Affen darf das südafrikanische Elektro-Trash Duo Die Antwoord erlebt werden. Dieses Erleben gestaltet sich so: Rapper Ninja haut, sich in den Schritt greifend, seine Lines in spannendem Akzent raus, seine Kollegin Yolandi Visser tut es ihm mit ihrer Chipmunk-Mickey-Mouse-Stimme gleich. Ein DJ sorgt für den Beat. Die beiden Künstler alternieren als Team stimmlich und Outfit-technisch: sie zwischen kurzen Kleidchen und Sommerpyjamas, er zwischen kurzen Stoffshorts mit nacktem Oberkörper und Gangster-Jeans.
Ninja, der eigentlich Watkin Tudor Jones heißt, schimpft gern und wackelt mit allem, was er so im Schritt hat. Seine Freundin Visser hüpft ebenso enthusiastisch auf der Bühne herum wie er, kommt dabei aber nicht an sein charmantes Goldzahn-Lächeln heran. Die beiden, die einen Song mit dem klingenden Titel "Gucci Coochie" ersonnen haben, haben ein Kind miteinander. Ihre Musik ist unglaublich tanzbarer Lärm, ihr Stil unverwechselbar, ihre Bühnenshow unterhaltsam. Und das Beste: Die würden der Mama zuhause gar nicht gefallen.
Ins Mikro murmelnd
Wie lange es das Frequency Festival tatsächlich schon gibt, darüber lässt sich sicherlich gut streiten. Die Besucher verändern sich von Jahr zu Jahr, so, wie sich auch der musikalische Fokus von Indie-Rock und Electro-Pop hin zu Hip-Hop und Dance-Trance dreht. Eindrücklich ausgedrückt: Österreichs Jugend raucht heute kaum noch und konzentriert sich mehr aufs Essen.
Apropos, Cloud-Rapper und derzeit der ganz heiße Scheiß, Yung Hurn war auch da. Sieht man den jungen Mann aus Wien Donaustadt performen, wird klar, wieso das Genre Cloud-Rap so lange in der Soundcloud-Senke verstaut war: Kann noch so gut sein, ist trotzdem schwierig auszutanzen. Man durfte dem jungen Hurn also dabei zusehen, wie er ins Mikro murmelnd herumging, den Kopf in den Nacken gelegt. Und alle filmten mit dem Handy mit. Prädikat: Eh ganz lustig.
Einiges mehr ließe sich noch über den ersten Frequency-Tag erzählen, aber das meiste davon wird mit Ende des Festivals sowieso aus der Erinnerung verschwunden sein. Oder, um den jungen Wiener Poeten Yung Hurn zu zitieren: "Ich wollte noch etwas sagen. Aber egal."