Meditation über Vergänglichkeit: Low um Alan Sparhawk und Mimi Parker (vorne). - © Shelly Mosman
Meditation über Vergänglichkeit: Low um Alan Sparhawk und Mimi Parker (vorne). - © Shelly Mosman

Ganz zu Beginn kann man sich noch nicht sicher sein, ob nicht eventuell doch das Abspielgerät einen Schaden hat. Die Dichte an nach Kabelbrand klingenden Störsounds und effektbeladen aus dem Hintergrund spukenden Gesangsfetzen, die am Regler einer unwirtlichen, rasch abgemischten Laut-leise-Behandlung ausgesetzt werden, ist nicht nur für die hier aufspielende Band doch äußerst ungewöhnlich.

Low aus Duluth, Minnesota, der Geburtsstadt Bob Dylans, hat man ab den frühen 90er Jahren als Nischenmusiker im Kontrastprogramm zum in die Welt gebrüllten Grunge aus Seattle kennengelernt. Neben einem hausgemachten Sound bei grundsätzlicher Reduktion auf Gitarre, Bass und die Minimalvariante eines Drumsets war die innere Einkehr dabei immer so wesentlich wie die stille Andacht.

Traum und Erinnerung

Nicht zuletzt der spirituell aufgeladene Hall- und betörend für Gänsehaut sorgende Harmoniegesang des Ehepaars Alan Sparhawk und Mimi Parker belegte dabei mit Nachdruck, dass der um wechselnde Bassisten wie den seit 2008 fix zur Band gehörenden Steve Garrington ergänzte Kern des Trios der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage angehört, deren Mitglieder man gemeinhin als Mormonen bezeichnet.

Andacht, Einkehr, Transzendenz verheißender Hallgesang: All das bieten Low zwar auch im Jahr 2018, allerdings muss man sich zahlreiche sperrige Schichten an verzerrt mäandernden Soundspuren hindurch erst einmal zum Kern dieser Kunst vorgraben. Das könnte und kann zum Auftakt mit "Quorum" gerade im Zusammenhang mit dem nicht unbedingt optimistisch gewählten Albumtitel "Double Negative" auf der Metaebene eine politische Lesart haben. Noch eher aber korrespondiert das musikalisch Verwaschene und gerne Ungreifbare im Bereich Traum und Erinnerung mit dem Vergehen der Zeit, dem Fluss des Lebens und einem Speicher, der Gedächtnis heißt: das volle Leben, der nahende Tod und alles dazwischen.

Bereits das von US-Regisseur Mark Pellington vom Totenbett einer alten Dame weg als Meditation über Vergänglichkeit angelegte Musikvideo zur Vorauskopplung "Fly" sorgte zwischen atmosphärischen Klangwolken, zart collagiertem Klavier und Mimi Parkers hier wieder klar erklingender Engelsstimme für Schauer und Gänsehaut: "I don’t know / And I don’t mind / Take my weary bones / And fly . . ."


Im Zusammenspiel mit später noch einfallenden Gitarren aus der Staubwüste, drastisch verschleppten Beats, gespensternden Ambient-Intermezzi und in Richtung Orgien-Mysterien-Theater und rituelle Beschwörung gebrachten Vokalmodulationen erinnern nicht zuletzt Musik und Video eines weiteren Albumhöhepunkts namens "Dancing And Blood" an David Lynch. (Alp-)Traum und Erinnerung als Trip durch die finstere amerikanische Nacht, in der das Unheil umgeht. Dazu gibt ein Klopfen an die Kellertür, ein Pochen aus der Grube den Takt vor.

Händeringend

Parallel hat sich das Trio von den klassischen Vorgaben des Songs zwischen Strophe, Refrain und Bridge entfernt und erteilt auch dem Storytelling eine Absage. Gemeinsam im Schreibverbund mit dem Produzenten BJ Burton, der bereits den tollen und gleichfalls elektronisch, aber weniger radikal im Sinne des Häckslers und der zum Einsturz gebrachten Mauern angelegten Vorgänger "Ones And Sixes" aus dem Jahr 2015 mitverantwortet hat, wurden in Brainstormings stattdessen Skizzen und Loops als Ausgangsbasis aus losen Ideen entworfen.

Manchmal braust in der Einöde ein Sturm auf - und das Ehepaar Sparhawk/Parker lässt zu schweren, vom Leben erschöpften Stoßseufzern alle Hoffnung kurzzeitig in den Himmel fahren: "It’s not the end. It’s just the end of hope." Am Ende bringt ausgerechnet aber "Disarray" - (biblische?) Verwirrung, Unordnung - musikalisch das Licht zurück, während inhaltlich ein "böser Geist" im Raum verbleibt, den es zu bekämpfen gilt. Händeringend nennt sich das wohl. Die faszinierende, in ihren Bann ziehende Neuerfindung hingegen scheint Low leicht von der Hand gegangen zu sein.