Die Entscheidung, Demos für die Suche nach einem größeren Label zu produzieren, lässt dann doch auf das Verlangen nach einem Karriereschub schließen. In Butch Vig fand man den geeigneten Produzenten, der Cobains neues Bekenntnis zum Song nun auch in radiotauglichere Bahnen lenkte. Und mit Geffen war man bei einem Großlabel gelandet, das einen kräftigen Vorschuss bezahlte und sichtlich Vertrauen in die Band setzte. Die 80.000 Einheiten, die von "Nevermind" zunächst gepresst wurden, sollten dennoch nicht reichen: 300.000 Exemplare gingen über die Ladentische - pro Woche. "Nevermind" verdrängte ausgerechnet Michael Jackson von der Spitze der US-Charts, Nirvana wurden zu Superstars, und Grunge war im Mainstream angekommen.

Während Songs wie "Come As You Are" oder "Smells Like Teen Spirit" als Welthits einer schwermütigen Jugend ungebrochen düster, aber auch eingängig aus dem Radio schallten, plagte sich ein bezüglich seiner Selbstzweifel schon immer gezeichneter Cobain nicht nur mit Sell-out-Vorwürfen. In frühester Kindheit von seinen Erziehungsberechtigten mit Ritalin sediert, bekämpfte er seine chronischen Magenschmerzen nun verstärkt auch mit Heroin.

Sein von den Konsequenzen nachhaltig unterstütztes Selbstporträt als "troubled mind" kann freilich auch aus den Texten zu "Nevermind" destilliert werden. Tatsächlich sollte man den Versuch, ein Psychogramm Cobains anhand seiner weit interpretierbaren Lyrics zu erstellen, aber besser unterlassen. Schlagzeuger Dave Grohl am Beispiel von "Smells Like Teen Spirit": "Wenn du Kurt siehst, wie er den Text schreibt, fünf Minuten, bevor er ihn erstmals singt, findest du es irgendwie ein bisschen schwierig zu glauben, der Song hätte viel über irgendetwas zu sagen."

Schwieriges Material

für die Massen


Die Frage, ob man in der Nische sein eigenes Süppchen kochen oder doch besser eine Liaison mit dem Feind schließen sollte, um das System von innen heraus aufzubrechen, versuchte Cobain mit seinen letzten Songs zu klären: Auf "In Utero" gab es mit "Dumb" oder "Heart-Shaped Box" zwar auch noch Hits - davor, dazwischen und danach konfrontierte die Band die solchermaßen für sich gewonnenen Massen aber mit bewusst schwierig gehaltenem Material. Nicht nur diese beiden Seelen, ach, in seiner Brust, zerrissen Kurt Cobain, der im April 1994 den vorhersehbaren Rock-’n’-Roll-Tod durch Selbstmord starb, um sich damit für immer bedeutsam zu machen.

Grunge hingegen verschwand bald wieder in der Versenkung, Kurt Cobains Kerndilemma erübrigte sich über eine Entdogmatisierung der Popmusik unter Vorzeichen des heute fließenden Übergangs von Underground und Mainstream. Die historische Bedeutung von "Nevermind" wie auch seine musikalische Güte bleibt ebenso unbestritten wie die Platte zumeist dennoch im Regal ihrer Besitzer.

Der versöhnliche und emotional eindringliche Abschluss dieser Geschichte sei Dave Grohl überlassen, der "Smells Like Teen Spirit" bei gemeinsamen Proben mit der letzten Nirvana-Besetzung heuer im Juni erstmals seit 17 Jahren und ohne Gesang wieder spielte. Eine Grenzerfahrung: "It was like a ghost. It was heavy."