
1969 schwappte etwas von der weltweiten Flower-Power-Bewegung auch ins damals noch recht konservative Österreich. Vor den Radios und Jukeboxen des Landes versammelten sich die Möchtegern-Hippies und lauschten einem hypnotischen Song, in dessen erstem Drittel jemand wie ein gütiger Märchenonkel vom versunkenen Kontinent Atlantis erzählte. Nach knapp zwei Minuten erst setzte das Schlagzeug ein und Donovan sang fast fünf Minuten lang immer wieder nur einen Satz: "Way down below the ocean where I wanna be she may be."
Es war ein Welthit, denn jeder junge Mensch zwischen San Francisco und New Delhi spürte sofort, dass dies die vielleicht passendste Hymne der Blumenkindergeneration war: naiv, optimistisch, mitreißend und in die eigene Schönheit und Jugend vernarrt. "Atlantis" war der Höhepunkt in der Karriere des Donovan Philips Leitch, wie der Sänger mit vollem Namen heißt.
Geboren 1946 in Schottland, zog sich Donovan als Kind Polio zu, was zu einer teilweisen Lähmung eines Beins führte, was wiederum der Grund dafür ist, warum der Sänger bei Konzerten stets saß - und sitzt. Aus dem Handicap wurde ein Markenzeichen. Schule war nichts für ihn, stellte Donovan rasch fest, und so tingelte er als Teenager lieber quer durch das Vereinigte Königreich und finanzierte sich durch Straßenmusik. 1964 kam er in London an und wurde rasch zu einem beliebten Act in den Folk-Clubs der Stadt. Er bekam einen Plattenvertrag und veröffentlichte binnen eines Jahres zwei Longplayer voller bezaubernder kleiner Tunes, von denen einige poetische Liebeslieder, andere Protestsongs gegen Krieg und Materialismus sind.
Früher als andere britische Musiker interessierte sich Donovan für die psychedelische Bewegung, und nur ein Jahr nachdem er mit akustischen Liedchen wie "Catch The Wind", "Colours" und "Josie" vor allem junge Mädchen zum Träumen gebracht hatte, veröffentlichte er mit dem elektrischen "Sunshine Superman" den ersten eindeutig von Rauschgift inspirierten Hit, der in den USA die Spitze der Charts erklomm und Donovan zu einem transatlantischen Star machte.
Der stilistische Wechsel lag auch an der Zusammenarbeit mit dem Produzenten Mickie Most, der eine feine Nase für den Geschmack vor allem des amerikanischen Publikums hatte und den vormaligen Westerngitarrenschrammler mit Musikern wie Jimmy Page zusammenbrachte, die seinen Songs ein härteres Klangfundament mit Schlagzeug und verzerrten E-Gitarren verpassten. Welterfolge wie "Hurdy Gurdy Man", "Mellow Yellow" und "Epistle To Dippy" bestätigten diesen Kurs und machten Donovan zu einem der reichsten britischen Künstler.
Nachdem Donovan mit "Atlantis" seiner Generation und sich selbst ein musikalisches Denkmal gesetzt und keine finanziellen Sorgen mehr hatte, machte er nur mehr, was er wollte - zum Beispiel ganze LPs mit Kinderliedern ("H.M.S. Donovan", 1971), und das traf nicht mehr immer den Massengeschmack. 1973 schaffte er es mit "Cosmic Wheels" noch einmal in die amerikanischen Top 50, und mit der Filmmusik zu Franco Zeffirellis Film über Franz von Assisi, "Brother Sun, Sister Moon", wurde ein neues Publikum erspielt.
Als Punk und New Wave aufkamen, galt Donovan rasch als das so ziemlich Uncoolste überhaupt. Er zog sich mit Frau und Kindern auf ein Schloss zurück, veröffentlichte weiterhin Alben, die kaum jemand hören wollte, und ging hin und wieder auf Tour. In den 1990er Jahren entdeckte die Ravekultur den damals fast vergessenen Althippie wieder und seine Songs beschallten so manch illegale Party. 1996 produzierte Rick Rubin, der schon Johnny Cash zu neuem Ruhm verholfen hatte, ein Donovan-Album ("Sutras"). Die Platte "Beat Cafe" überraschte 2004 wiederum mit jazzigen Klängen. 2012 wurde Donovan in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.
Der Musiker ist seit 1970 mit Linda Lawrence verheiratet, mit der er zwei Kinder hat. Als Adoptivvater hat er den Sohn des tragisch früh verstorbenen Rolling-Stones-Mitbegründers Brian Jones großgezogen. Zum 50. Jubiläum als Recording Artist erscheint nun das Doppelalbum "Retrospective", das neben den größten Hits auch einen neuen Song enthält.