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Erinnerungen an das große Schlachten

Von Stefan Vospernik aus Paris

Politik
Der Friedhof von Douaumont bei Verdun kündet vom sinnlosen Sterben. 
© Jean-Pol Grandmot - CC

Der Erste Weltkrieg ist für Macron eine Mahnung, wie brüchig der Friede sein kann.


Es ist nicht gerade die beste Zeit für einen Wochenendtrip nach Paris. Trübes Novembergrau umhüllt die Stadt der Liebe, feiner Nieselregen durchdringt die Poren. Und dann noch das. "Morgen steht hier alles still", klärt der Portier in einem kleinen Hotel nahe den Champs Elysees auf. Wird wieder gestreikt? Ist es wegen des Feiertags?

"Nein, es ist der 11. November", erhebt er mit Stolz die Stimme.
Der 11. November ist für die Franzosen beinahe ein mythischer Tag. Sonst oft heillos zerstritten und ob eines im Vergleich zu vergangenen Zeiten wirtschaftlichen und politischen Bedeutungsverlustes mitunter sogar depressiv, scheint sich die "Grande Nation" geradezu an dieses Datum zu klammern. Der Tag, an dem die Deutschen im Wald des nordfranzösischen Compiegne die Kapitulation im Ersten Weltkrieg unterschrieben, eint die Franzosen wie kein anderer.

Vor dem Louis-Vuitton-Store an den Champs Elysees trotzt am Samstag eine lange Schlange asiatischer Touristen dem Schlechtwetter. In 24 Stunden wird dort ein endlos scheinendes Defilee an Panzern vorbeiziehen, die auf den Straßenlaternen der Prachtstraße angebrachten großen französischen Fahnen zeugen schon davon. 60 Staats- und Regierungschefs werden zu den Feiern am Triumphbogen erwartet, darunter Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist das Weltkriegsgedenken eine willkommene Gelegenheit, von innenpolitischen Problemen abzulenken und sein Image als pro-europäischer Visionär aufzupolieren. Er setzt zwar eine große Militärparade in Bewegung, will die Feier aber bewusst als Zeichen für ein "Nie wieder" sehen. Als Vehikel dafür setzt er am Sonntag Jugendliche ein, die Schulter an Schulter eine Menschenkette bilden sollen. Und er veranstaltet ein großes "Friedensforum" mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel als Eröffnungsrednerin.

Merkel und Macron gedachten bereits am Samstag gemeinsam in einem Nachbau jenes nordfranzösischen Zugwaggons, in dem die deutsche Armee vor 100 Jahren kapituliert hatte. Für die deutsche Kanzlerin war das kein alltäglicher Gang, zumal in Zeiten, in denen im Deutschen Bundestag wieder hässliche Töne zu hören sind. Vom "Versailler Friedensdiktat" sprach diese Woche etwa der Abgeordnete der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland", Armin-Paulus Hampel. Die deutsch-französische Zusammenarbeit, der Eckstein der europäischen Integration, hat für den AfD-Mandatar nur einen Zweck: Den Euro möglichst reibungslos abzuwickeln und eine "Nach-Euro-Ordnung" in Europa zu schaffen.

Bei der Zeremonie im französischen Compiegne weihten Macron und Merkel eine Gedenkplakette ein und trugen sich in das Erinnerungsbuch ein.  In Europa herrsche seit 73 Jahren, seit Ende des Zweiten Weltkrieges, Frieden, sagte Macron. "Es ist Frieden, weil wir es wollen, weil Deutschland und Frankreich Frieden wollen", sagte er.

Merkel sagte, der Tag sei "nicht nur Mahnung sondern auch Ansporn". Heute sei der Wille da, "alles zu tun, um eine friedlichere Ordnung auf der Welt zu schaffen, auch wenn wir wissen, dass noch sehr, sehr viel Arbeit vor uns liegt."

Massive Kritik musste der Gastgeber zum Auftakt der Feiern auch von US-Präsident Donald Trump einstecken, der Macrons Plädoyer für eine europäische Armee als "sehr beleidigend" einstufte und über Twitter wieder eine seiner Attacken auf die europäischen NATO-Verbündeten startete.

Macron selbst sieht den Ersten Weltkrieg auch als Mahnung, wie brüchig der Friede ist. Bekanntlich dauerte es nach dem Ersten Weltkrieg nur zwei Jahrzehnte, bis die europäischen Staaten wieder zu den Waffen griffen. Als Konsequenz aus beiden Kriegen vereinbarten sie dann eine enge Zusammenarbeit, was dem Kontinent nun schon sieben Jahrzehnte ohne Krieg beschert hat.

Angesichts des Aufstiegs des Rechtspopulismus wächst aber die Sorge, wie beständig dieses Friedensprojekt ist. Merkel selbst warnte am Donnerstag beim Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) offen vor einem Rückfall in den Nationalismus, der letztlich zum Kriege führt. Im Hinblick auf die Europawahl im kommenden Mai meinte sie, es werde sich dabei zeigen, "ob wir wirklich etwas aus der Geschichte gelernt haben". Im Blick hat sie dabei wohl auch Frankreich, wo eine kürzliche Umfrage die rechtspopulistische Rassemblement National (früher Front National) erstmals an erster Stelle vor der liberalen LREM von Präsident Macron zeigte.

Denkmal in Paris

Paraden, symbolische Gesten und salbungsvolle Worte sind das eine, doch es gibt keine eindrücklichere Mahnung vor dem Krieg als den einzelnen Toten. Der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo bleibt es vorbehalten, konkret an jene Menschen zu erinnern, die im schrecklichen "Großen Krieg" ihr Leben lassen mussten. Mehr als 20 Millionen waren es insgesamt, in Paris zählte man 94.415 Todesopfer.

Am Samstagnachmittag eröffnete Hidalgo ein Denkmal für diese Menschen; auf 150 Metalltafeln finden sich ihre Namen. Und im Rathaus gibt es ein Meer aus 94.415 blauen, weißen und roten Blumen zu sehen. Die Blumen, die seit Juni von den Pariser Floristen gezogen wurden, werden anschließend an die Bewohner der Stadt verteilt - als Erinnerung an eine vergangene Zeit, die heute leider nicht mehr ganz so fern scheint wie noch vor einigen Jahren.

(dpa)