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Merkel geht nochmals auf Macron zu

Von Alexander Dworzak

Politik

Nach dem Eurozonen-Budget greift Deutschlands Kanzlerin nun den Vorschlag einer eigenen europäischen Armee auf.


Straßburg/Wien. "Die Zukunft Europas" diskutieren Staats- und Regierungschefs der Union seit Jahresbeginn mit den EU-Parlamentariern. Elf von ihnen sind bereits gekommen, am Dienstag ist Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel an der Reihe. Über ihre Zukunft wird viel diskutiert, seit sie den Rückzug von der CDU-Spitze mit Dezember angekündigt hat. Merkel will aber bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 als Kanzlerin dienen. Die EU-Parlamentarier sind daher gespannt, ob Merkel erst recht typisch-unverbindlich auftritt, schließlich muss sie sich künftig mit dem neuen CDU-Vorsitzenden abstimmen. Oder nutzt Merkel die fehlenden Fesseln eines Amtes und lanciert ein Großvorhaben.

Mehr wagen bei der europäischen Integration ist die Devise von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er war bereits im April zu Gast im EU-Parlament, warnte vor dem "Rückzug auf nationale Egoismen" und rief zur Verteidigung der "europäischen Demokratie" gegenüber autoritären Tendenzen auf. Mehr europäische Handlungsfähigkeit bei der Steuerung von Migration und bei der Bewältigung des Klimawandels waren damals seine Leitplanken. Einen eigenen europäischen Kurs schlug Macron dieser Tage wieder vor, appellierte 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs für eine europäische Armee. Europa als Friedensmacht solle außenpolitisch und militärisch auf Augenhöhe mit den USA, Russland und China agieren.

Europa als militärische Friedensmacht

Merkel unterstützt die Idee: "Wir sollten an der Vision arbeiten, eines Tages eine echte europäische Armee zu schaffen. Eine gemeinsame Armee würde der Welt zeigen, dass es in Europa nie wieder Krieg gibt." Noch am Vortag nannte Deutschlands Verteidigungsministerin Ursula Von der Leyen "eine Armee der Europäer" als realistisches Ziel, nicht aber eine europäische Armee. Laut der Parteikollegin Merkels müsse die Verantwortung für Einsätze nationalstaatlich bleiben. Allerdings ist der Einfluss der Verteidigungsministerin in den vergangenen Jahren rapide gesunken, von der potenziellen Merkel-Nachfolgerin stieg sie - auch aufgrund extrem teurer Beratungsverträge für den Umbau des Ministeriums - zum Problemfall ab. Hingegen bezeichnete CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, die gute Chancen auf den Parteivorsitz hat, die Idee einer europäischen Armee als "sinnvoll".

Auf mehr als eine Absichtserklärung zu dem Thema lässt sich Merkel vor den Europaparlamentariern aber nicht ein. Sie betont jedoch, eine europäische Armee stünde nicht im Widerspruch zur Nato-Mitgliedschaft von 22 EU-Staaten. Auf die Lage im mit Abstand wichtigsten Land des Militärbündnisses, den USA, weist Merkel unausgesprochen hin: "Die Zeiten, in denen wir uns vorbehaltlos auf andere verlassen konnten, sind vorbei." Der Verweis auf Präsident Donald Trump brachte Merkel Applaus ein.

Deutsche Kritik an "Interventions-Initiative"

Wenig Freude besteht von deutscher Seite mit einem anderen französischen Vorhaben, der "Interventions-Initiative". Diese soll im Krisenfall auch ohne US-Beteiligung schnell eingreifen. Neun europäische Länder sind bisher dabei, neben Frankreich und Deutschland unter anderem die Niederlande sowie Estland - und auch das aus der EU scheidende Großbritannien. Deutsche Militärs warnen, Frankreich habe dabei vornehmlich französische Interessen, weniger europäische, ganz zu schweigen von deutschen im Blick. "Frankreich geht es ganz klar um Afrika, um den Sahel, und eine Entlastung der Franzosen dort", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Militärkreise.

Die "Interventions-Initiative" schlug Macron bereits 2017 bei seiner Sorbonne-Rede zur Zukunft der EU vor, ebenso wie ein eigenes Eurozonen-Budget. Merkel ließ Frankreichs Staatschef über Monate im Unklaren, im Juni erklärte sie das grundsätzliche Einverständnis zum Haushalt, wenn auch mit einem zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag wesentlich niedriger als von Macron angesetzt. Mehrere EU-Staaten mit den Niederlanden an der Spitze halten von dieser Idee wenig.

Bis Dezember wollen Frankreich und Deutschland laut Merkel "sichtbare Erfolge" bei Eurozonen-Haushalt und Bankenunion vorlegen; unsicher ist, ob bis dahin Konsens bei einem wichtigen Baustein der Bankenunion herrscht, bei der geplanten europäischen Einlagensicherung. "Eigenverantwortung und Solidarität sind zwei Seiten einer Medaille", sagt Merkel. Sprich, kriselnde EU-Länder sollen sich nicht auf die Hilfe verlassen. Doch selbst wenn das Eurozonen-Budget nicht kommen sollte, bleibt die Kritik aus Teilen der CDU, wonach die Kanzlerin die Vorschläge Frankreichs erduldet anstatt selbst aktiv zu werden.