Zum Hauptinhalt springen

"EU, dreckige Ratten"

Von Alexander Dworzak

Politik

Wie die britischen Boulevardblätter "Sun" und "Daily Mail" die Anti-EU-Stimmung befeuern.


London/Wien. Bloß keinen "Verrat, warnt das Boulevardblatt "Sun". Der Brexit-Vertragsentwurf von Premierministerin Theresa May müsse abgelehnt werden. Die Yellow-Press-Kollegen der "Daily Mail" sehen es diesmal anders: "Endlich ein Deal! Gebt ihm eine Chance!" Im Kern sind sich die zwei Medien aber einig: Großbritannien blüht ohne EU-Zugehörigkeit auf. "Dies ist unsere letzte Chance, uns von der undemokratischen Brüsseler Maschine zu befreien. Es ist Zeit, die Gelegenheit zu nutzen", schrieb die "Sun" im Juni 2016, kurz vor dem Brexit-Votum.

"Sun" und "Daily Mail" haben besonderes Gewicht. Mit 1,45 beziehungsweise 1,26 Millionen Exemplaren sind sie die beiden auflagenstärksten Zeitungen Großbritanniens; auch die weiteren Blätter in den Top fünf befürworteten den Brexit. Da kann das Remain-Lager nicht mithalten, sei es die konservative "Times", die wirtschaftsliberale "Financial Times" oder der linksliberale "Guardian". Online liegen "Sun" und "Daily Mail" unter den privaten Nachrichtenanbietern ebenfalls weit vorne.

Im Austeilen sind die Boulevardmedien so groß wie bei der Reichweite. "Freiheit!", titelte die "Daily Mail" unmittelbar bevor May im März 2017 den offiziellen Austrittsantrag Großbritanniens stellte. "Dover & Out" ließ die "Sun" auf die berühmten Kreidefelsen an der Küste projizieren.

Schwach im Einstecken

Einstecken ist aber nicht ihre Sache. Das bekam auch EU-Ratspräsident Donald Tusk zu spüren. Der Pole postete ein Foto vom Buffet beim EU-Gipfel in Salzburg: "Ein Stück Kuchen gefällig? Tut mir leid, keine Kirschen", schrieb Tusk auf Instagram; er spielte damit auf die britische Redewendung für "Rosinenpicken", "cherry picking" (wörtlich "Kirschenpicken") an. "EU, dreckige Ratten", titelte die "Sun" daraufhin, die Köpfe von Tusk und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron wurden auf Gangstersujets aus den 1920ern montiert - inklusive Bewaffnung mit Maschinengewehren. "Wir können es gar nicht erwarten, die Schmalspur-Gangster, die die Europäische Union führen, abzuschütteln", stand im dazugehörigen Text.

Mit Gewaltassoziationen werden auch innenpolitische Kontrahenten bedacht. Als May im vergangenen Mai eine Parlamentswahl vom Zaun brach, riet die "Daily Mail", "Saboteure", also Brexit-Gegner, sollen "zerdrückt" werden ("Crush the Saboteurs").

Für den ehemaligen "Sun"-Chefredakteur David Yelland bedeutet der Brexit den bisherigen Höhepunkt der Macht des Boulevards - nur sieben Jahre nach dem absoluten Tief. Damals wurde bekannt, dass Journalisten von "News of the World" über Jahre die Handys von Verbrechensopfern und Prominenten bespitzelt und Polizisten bestochen hatten. Die Geschäftsführerin trat zurück, der Chefredakteur landete im Gefängnis, das Blatt wurde eingestellt. Dessen Eigentümer Rupert Murdoch sprach bei einem Parlamentsausschuss vom "demütigsten Tag" seines Lebens. Der Medienmogul sei nicht geeignet, einen internationalen Konzern zu führen, urteilten die Parlamentarier. Schließlich habe Murdoch die Vorgänge in der Zeitung absichtlich ignoriert.

Etwas wird hängenbleiben

Auch die "Sun" gehört zu Murdochs Reich - ebenso wie in den USA Fox News, Haussender von Präsident Donald Trump. Beide Medien arbeiten nach dem Prinzip, Halb- und Unwahrheiten so lange zu verbreiten, bis die Leser oder Zuseher an diese glauben. Die Schweizer "Medienwoche" zitiert dazu "Sun"-Chefredakteur Tony Gallagher: "Wenn man als Zeitung großes Aufsehen macht um die Tatsache, dass alle unsere Gesetze in Europa gemacht werden, dann dringt das schlussendlich ins nationale Bewusstsein."

Nicht so genau mit der Wahrheit könnte es auch Arron Banks genommen haben. Der Unternehmer unterstützte die Austrittskampagne mit acht Millionen Pfund. Die britische Ermittlungsbehörde für schwere und organisierte Kriminalität geht dem Verdacht nach, das Geld stammt aus dem Ausland, möglicherweise aus Russland. Banks bestreitet die Vorwürfe. Treffen mit dem russischen Botschafter in Großbritannien und russischen Geschäftsleuten räumte er scheibchenweise ein.

Dubios ist auch eine anonyme Werbekampagne auf Facebook, die im Oktober bekannt wurde. User wurden darin aufgefordert, dem Parlamentsabgeordneten ihres Wahlkreises eine vorformulierte E-Mail zu senden, wonach der Abgeordnete gegen Mays Brexit-Plan stimmen soll. Laut "Guardian" könnten zehn Millionen Bürger so erreicht worden sein.

Die Hemmungslosigkeit des Boulevards in Print und Online sowie in den sozialen Medien könnte durch die öffentlich-rechtliche BBC abgemildert werden. Doch deren früher Wirtschaftsjournalist Robert Peston resümierte frustriert, die BBC sei "völlig besessen" von der Themensetzung der Zeitungen.