London/Brüssel. Die britische Premierministerin Theresa May muss sich möglicherweise einer Misstrauensabstimmung in ihrer konservativen Fraktion stellen. Der einflussreiche Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg sprach Medienberichten zufolge May am Donnerstag sein Misstrauen aus. Er protestierte damit gegen das Brexit-Abkommen Mays.

Damit die Abstimmung stattfindet, sind 48 entsprechende Briefe von Parlamentariern aus Mays Partei notwendig. Diese Zahl war Medien zufolge bereits seit Monaten beinahe erreicht. Der Rundfunksender BBC berichtete allerdings am Donnerstagmittag, das für Misstrauensvotum zuständige Britische Komitee habe die erforderliche Anzahl noch nicht erhalten.

May laufen die Minister davon

Wenige Stunden nach der Billigung des Brexit-Deals durch das britische Kabinett hat eine Serie von Rücktritten die Regierung von May erschüttert. Am Donnerstag legte unter anderem Brexit-Minister Dominic Raab aus Protest gegen die Vereinbarung sein Amt nieder. May verteidigte wenige Stunden später den Vertragsentwurf im Parlament. Brüssel gab sich unterdessen zufrieden.

Konkret begründete Raab in seinem Rücktrittsschreiben die Regelung zum künftigen Status von Nordirland. Die Vorschläge dazu stellten eine "echte Bedrohung für die Integrität des Vereinigten Königreichs" dar. Er könne den Deal nicht mit seinen Versprechungen gegenüber den Bürgern vereinbaren. Das Land brauche jedoch einen Brexit-Minister, der die Einigung überzeugend vertreten könne.

Unmittelbar nach dem Rücktritt Raabs fiel das britische Pfund deutlich. Die britische Währung notierte am Donnerstagvormittag bei 1,2831 Dollar - vor der Ankündigung war das Pfund noch bis auf 1,30 Dollar geklettert.

Ebenfalls aus Protest gegen den Vertragsentwurf nahmen die Arbeitsministerin Esther McVey, der Nordirland-Staatssekretär Shailesh Vara und Brexit-Staatssekretärin Suella Braverman den Hut. Der Vertragsentwurf enthalte zu viele Zugeständnisse an die EU und bedrohe die Integrität des Vereinigten Königreichs, kritisierte McVey.

May verteidigt den Deal

Kurz nach Bekanntwerden der Rücktritte trat May in London wie bereits am Mittwoch geplant vor das Parlament, um den Deal zu verteidigen. Sie warnte die Abgeordneten, dass die einzige Alternative zu der Einigung ein Verbleib Großbritanniens in der EU sei. "Wir können uns dafür entscheiden, ohne Abkommen auszutreten, wir können riskieren, dass es zu gar keinem Brexit kommt, oder wir können uns dafür entscheiden, uns zu einigen und den besten Deal unterstützen, der verhandelt werden kann", sagt May.

Das Abkommen muss nach einer möglichen Unterzeichnung beim Sondergipfel aber noch weitere Hürden nehmen, vor allem im britischen Parlament. Dort muss May mit erheblichem Widerstand rechnen. Mehrere konservative Abgeordnete kündigten bereits ihren Widerstand gegen die Einigung an. Die nordirische Democratic Unionist Party (DUP), auf deren Stimmen May im Parlament angewiesen ist, drohte bereits am Mittwoch wegen der Sonderregelungen für Nordirland mit einem Bruch des Bündnisses.

Die Brexit-Unterhändler von EU und Großbritannien hatten nach monatelangen Verhandlungen am Dienstag einen Durchbruch erzielt und sich auf einen Vertragsentwurf verständigt. Am Mittwochabend billigte nach rund fünfstündigen Beratungen das britische Kabinett den Entwurf. Der Streit um die künftige Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland hatte die Verhandlungen monatelang blockiert.

EU-Vertreter zeigten sich zufrieden

Aus Sicht der EU-Kommission hat die Regierungskrise keine unmittelbaren Folgen für den Abschluss der Brexit-Verhandlungen. May sei selbst Verhandlungsführerin ihrer Regierung, sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas in Brüssel. "Unsere Verhandlungspartner sind May und die britische Regierung. Wir arbeiten weiter in gutem Glauben mit ihnen zusammen."

Zufrieden zeigten sich am Donnerstag unterdessen EU-Vertreter sowie einige der verbleibenden EU-Staaten wie Deutschland oder Italien. Michel Barnier, Brexit-Chefverhandler der EU, übergab den 585 umfassenden Vertragsentwurf dem EU-Parlament in Straßburg. Parlamentspräsident Antonio Tajani erklärte, er sei mit den Eckpunkten des Entwurfs zufrieden. Guy Verhofstadt, Verhandlungsführer des Parlaments, betonte, das sei das beste Abkommen, das man erzielen habe können. Das EU-Parlament muss - wie das britische Parlament - dem Brexit-Deal zustimmen.

Sondergipfel am 25. November

Die Vorbereitungen für die nächsten Schritte laufen. EU-Ratspräsident Tusk kündigte am Donnerstagfrüh einen raschen Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs für Sonntag kommender Woche an. "Wenn nichts Außergewöhnliches passiert, werden wir ein Treffen des Europäischen Rates abhalten, um das Brexit-Abkommen formell zu besiegeln", sagte Tusk in Brüssel. EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP) berief für den 19. November einen Rat Allgemeine Angelegenheiten im Brexit Format (Art. 50) ein.

Der österreichische Brexit-Delegierte Gregor Schusterschitz zeigt sich trotz der jüngsten Regierungskrise in London wegen des Brexit-Vertragsentwurfs zuversichtlich. "Wir vertrauen drauf, dass Theresa May das gelingen wird, genug Unterstützung für diesen Deal zu kreieren", sagte Schusterschitz Donnerstagmittag dem Ö1-Mittagsjournal. Allerdings bereitet sich die EU auch weiter auf ein anderes Szenario vor: Donnerstagmittag nahm Schusterschitz an einer Sitzung für den "Notfall" - falls Großbritannien ohne Abkommen im Frühjahr aus der EU tritt - teil. Am Abend berät der österreichische Diplomat mit seinen 26 anderen EU-Kollegen über den Entwurf.

Die österreichischen EU-Abgeordneten begrüßten durch die Bank den Vertragsentwurf. Unter den gegebenen Umständen sei der Entwurf grundvernünftig, sagte Othmar Karas (ÖVP). Am Tisch liege eine Notlösung, die vorerst ein Chaos abwende, erklärte Josef Weidenholzer (SPÖ). Die Zustimmung im britischen Parlament sei jedoch noch unsicher, warnte Angelika Mlinar (NEOS). FPÖ-Europaabgeordnete Harald Vilimsky erklärte, auf dieser Basis könne weiterverhandelt werden. Der Grüne EU-Abgeordnete Michel Reimon will indes alles tun, um ein zweites Referendum zu unterstützen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte sich bereits am Mittwochabend "sehr froh" über das Ergebnis in London gezeigt. "Ich hoffe nun auch auf Zustimmung des britischen Parlaments", schrieb Kurz auf Twitter.