Zum Hauptinhalt springen

Britische Minister verlangen Plan B

Von Michael Schmölzer

Politik

Premier May bleibt bei ihrer Brexit-Vorlage und sieht sich massiven Anfeindungen ausgesetzt.


London/Wien. Premierministerin Theresa May wird in Großbritannien von allen Seiten unter Beschuss genommen. Grund ist der Brexit-Deal mit der EU, der von den Austritts-Hardlinern nicht akzeptiert wird. Die härtesten Schläge, die auf die Regierungschefin niederprasseln, kommen aus ihren eigenen Reihen, wo die hartgesottensten EU-Gegner sitzen. Mit Drohgebärden versuchen diese "Brexiteers", die Premierministerin klein zu bekommen.

Zuletzt musste sich May sogar gegen den Vorwurf zur Wehr setzen, sie wäre der moderne Neville Chamberlain. Der hatte in der Zwischenkriegszeit erfolglos versucht, Adolf Hitler mit einer Beschwichtigungspolitik in den Griff zu bekommen. Sie sei nicht Chamberlain, so May, Großbritannien habe nicht kapituliert und werde nicht in einen Knebelvertrag mit der EU gezwungen.

Chamberlain war berühmt geworden, als er 1938 nach einem Treffen mit Hitler mit einem Vertrag nach London zurückkehrte, der seiner Ansicht nach für lange Zeit den Frieden in Europa garantieren würde.

Barclay neuer Brexit-Minister

Am Freitag sollte es May dann an den Kragen gehen. Es wurde verbreitet, dass 48 "Meuterer" aus den Reihen der Tories Briefe an Downing Street 10 gesandt und damit May das Misstrauen ausgesprochen hätten. Das wurde im Verlauf des Tages wieder in Zweifel gezogen. An der Spitze der Aufständischen steht der Abgeordnete und Millionär Jacob Rees-Mogg. Noch war davon auszugehen, dass eine Mehrheit der Tories hinter May steht.

Sollte sich ein Gegenkandidat dem Duell stellen, käme es zu einem Auswahlverfahren, an dessen Ende die Tory-Parteimitglieder per Briefwahl befragt würden. Noch hat es aber niemand gewagt, May zum direkten Duell herauszufordern. Die Umstürzler halten sich bedeckt und warten ab.

Eine Absetzung Mays könnte mehrere Wochen in Anspruch nehmen und sich denkbar schwierig gestalten. Es käme zu einem Machtkampf, der Ressourcen aufbrauchen würde, die ganz woanders gebraucht werden. Und am Ende könnte May stärker denn je im Sattel sitzen. Übersteht sie das Votum, darf sie ein Jahr lang nicht mehr herausgefordert werden.

Soll London nicht im Chaos versinken, muss eine rasche Lösung her. Die Zeit drängt, am 25. November wird es einen Sondergipfel der EU geben, in der Folge muss der Deal durch das britische Parlament. Dort stellt sich derzeit eine Mehrheit gegen May.

Fix ist, dass die Briten am 29. März 2019 die Europäische Union verlassen. Mit oder ohne Abkommen. Im zweiten Fall gäbe es auch keine Übergangsfrist, um die genauen Regelungen des Austritts zu vereinbaren.

May lässt sich nicht entmutigen und geht beharrlich Schritt für Schritt ihren Weg. Am Donnerstag machte sie klar, dass sie die Rücktritte ihrer Brexit- und Arbeitsminister bedaure, dass das an der Sache aber nichts ändere: An dem Brexit-Abkommen, so wie es jetzt vorliegt, werde nichts mehr geändert.

Ersatz für die zurückgetretene Arbeitsministerin Esther McVey ist jedenfalls gefunden. Ex-Innenministerin Amber Rudd wird das Amt übernehmen. Auch einen neuen Brexit-Minister gibt es: den bisherigen Staatssekretär Stephen Barclay. Darüber hinaus durfte sich May über weitere Unterstützung aus den eigenen Reihen freuen. Umweltminister Michael Gove gab bekannt, dass er nicht zurücktreten werde. Zunächst war spekuliert worden, dass er der Nächste sein könnte, der das Handtuch wirft. Gove sprach May das Vertrauen aus und kündigte an, sich für ein "gutes Abkommen" mit der EU einsetzen zu wollen. Handelsminister und Brexit-Befürworter Liam Fox stärkte May ebenfalls den Rücken. Fox will einen ungeordneten "Hard Brexit" vermeiden, der das bereits jetzt herrschende Chaos perfekt machen würde.

So soll an der Notfallklausel gerüttelt werden. Man will verhindern, dass Großbritannien dauerhaft in einer Zollunion mit der EU bleiben muss, ohne mitbestimmen zu dürfen. Dem Vernehmen nach wollen sich fünf Kabinettsmitglieder demnächst daranmachen, den Austrittsvertrag umzuschreiben. Die Betreiber des britischen EU-Austritts sind immer noch der Ansicht, dass wesentliche Eckpunkte des Vertragsentwurfes nachverhandelbar wären. Möglicherweise eine völlig nutzlose Fleißaufgabe, da weder die EU noch May irgendetwas an der Übereinkunft ändern wollen.

Das Problem ist, dass die "Brexiteers" von einem Abkommen mit der EU träumen, das Großbritannien als starke und vom Kontinent unabhängige Großmacht etabliert. Damit glauben sie an genau die Märchen, die sie selbst vor der Abstimmung im Juni 2016 in die Welt gesetzt haben. Dass das mit der Realität nicht in Einklang zu bringen ist, hat nur die Pragmatiker-Fraktion in London begriffen.

Stunde der Wahrheit

Es ist die Stunde der Wahrheit, und die ist für viele britische Politiker nicht leicht annehmbar.

Für die britischen Wähler, die im Juni 2016 für den Austritt aus der EU gestimmt haben, ist das jetzige politische Gezerre unverständlich. Sie wollen einen raschen Austritt, "irgendwie", und verlangen, dass sich die Politik endlich den "wichtigen Fragen" zuwende. Es ist in der britischen Gesellschaft zu einer Polarisierung gekommen, weil immer mehr Brexit-Gegner vehement eine zweite Volksbefragung zu dem Thema fordern. Im Oktober marschierten 700.000 Demonstranten durch London und verlangten den Verbleib in der EU. Ein zweites Referendum wird von Labour-Politikern wie Ex-Außenminister David Miliband und den Ex-Premierministern Tony Blair und Gordon Brown, aber auch vom mächtigen Londoner Bürgermeister Sadiq Khan ins Gespräch gebracht.

Auch EU-Politiker wie Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez hatten dafür plädiert. Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker haben London konkret einen Verbleib in der EU angeboten.

Die Zeit scheint für May zu spielen. Jeden Tag, den sie im Amt ist, wird klarer, dass der Deal immer noch die beste aller Lösungen ist. Sollte es May gelingen, ihren Deal durchzubringen, hätte sie wohl mehr für Europa getan als Kanzlerin Angela Merkel in dreizehn Jahren, wie deutsche Kommentatoren bemerken.

Information: Who's who

Der einflussreiche Brexit-Befürworter Jacob Rees-Mogg gilt als gefährlichster Widersacher Theresa Mays. Der 49-jährige Hardliner hat das innerparteiliche Misstrauensvotum gegen die Premierministerin maßgeblich angetrieben. Der Vorsitzende der konservativen Parlamentariervereinigung fordert einen harten EU-Austritt ohne Einigung. Der bekennende Katholik vertritt konservative Positionen und gilt als "Klimaskeptiker". Der schrullige Multimillionär hat sich von einer Randfigur zum zentralen Player im Brexit-Drama etabliert. Für nicht wenige Tories gilt er als konservative Antwort auf Labours Jeremy Corbyn und möglicher neuer Premier.

Auch Jeremy Corbyn galt lange Zeit als Außenseiter in der Labour-Partei. Die rechtslastige britische Presse tat den 69-Jährigen als linken Spinner ab, doch dann wurde er 2015 überraschend zum Parteichef gewählt. Der Oppositionsführer und EU-Skeptiker forderte May nun auf, das "halbgare Abkommen" zu verwerfen. Die Premierministerin ist auf die Unterstützung seiner Partei im Parlament angewiesen, um ihren Brexit-Deal durchzubringen. Doch die Labour Party macht bereits mobil und fordert ihre Abgeordneten auf, dagegen zu stimmen.
Sollte es dann Neuwahlen geben, hätte Corbyn Chancen, Premierminister zu werden.

Die Minderheitsregierung der Tories unter May ist von den Stimmen der nordirischen DUP abhängig. Doch die pro-britische Partei will May nun nicht mehr unterstützen. DUP-Chefin Arlene Foster drohte bereits, sollte Nordirland anders behandelt werden als der Rest Großbritanniens, werde das Folgen haben.

Auf Umweltminister Michael Gove konnte sich May stets verlassen – er stellte sich stets hinter die Premierministerin und gilt als Brexit-Verfechter. Nachdem May bereits der zweite Brexit-Minister abgesprungen ist, gilt Gove als möglicher Nachfolger.