Die Statistik von Eurostat zeigt jedoch, dass nur wenige von diesen Abkommen profitieren. Ungefähr 3,9 Prozent - also vier von hundert - aller arbeitsfähigen Europäer ziehen für einen Job in ein anderes europäisches Land. Nur 0,6 Prozent - also sechs von tausend - aller arbeitenden Menschen sind Grenzgänger, arbeiten also in einem anderen Land als sie wohnen. Und nur 3,7 Prozent - circa vier von hundert - aller Jugendlichen profitieren von Austauschprogrammen wie Erasmus+, von dem Studenten, Jungunternehmer und Schüler profitieren (Teil von Erasmus+ ist auch ein Programm einer europaübergreifenden Erwachsenenbildung). Die zahlreichen Möglichkeiten, die durch besagte Abkommen geschaffen wurden, werden nur teilweise angenommen.

Leben nach Interrail

Es ist windig auf den Gleisen des Wiener Nordbahnhofes. Martin Speer zieht sich eine schwarze Kappe über den Kopf und blinzelt in die Sonne. Reisen, für einen Job umziehen oder ein Auslandssemester zu absolvieren kostet Geld. Und Geld haben wenige Jugendliche selbst.

Das Ticket soll deshalb ein Anstoß für alle jungen Menschen sein, Europa zu erleben. "Wir wollen, dass wirklich alle jungen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Bildung und ihrem Geschlecht die Möglichkeit haben und schätzen lernen, was diese europäische Einheit bedeutet, warum sie so wertvoll ist und warum wir sie verteidigen müssen. Wir wollen es schaffen, wirklich jeden und jede zu erreichen."

Ob wirklich jede und jeder mit diesem Projekt erreicht wird, hinterfragt Evelyn Regner, Delegationsleiterin der SPÖ im Europaparlament. Das Projekt #DiscoverEU ziele auf privilegierte Jugendliche ab, die auch ohne dieses Ticket Europa bereist hätten. "Verantwortungsvolle Politik muss auch das Leben nach der Interrail-Party im Blick haben", meint Regner und verweist auf die hohe Jugendarbeitslosenquote. Sieben Millionen Jugendliche seien in Europa arbeitslos. "Angesichts dieser Zahlen wirkt es fast zynisch, dass man solche Summen für eine Interrail-Lotterie ausgibt, wenn wir das Geld eigentlich dringend für Beschäftigungsinitiativen und den europäischen Sozialfonds brauchen", kritisiert die Sozialdemokratin.

Die Aktivisten Herr und Speer sehen das Gratis-Interrailticket als Türöffner zu Erasmus und anderen Programmen. Deshalb habe man sich bewusst dafür entschieden, ein unkompliziertes Projekt mit geringen Hürden auf die Beine zu stellen. Über den Erfolg der Initiative waren die Aktivisten selbst überrascht. "Dieses Projekt würde es nicht geben, wenn es Europa derzeit nicht so schlecht ginge" so Speer und spielt damit auf einen "Europablues" an, der sich durch den Brexit oder die Ablehnung der EU in Polen und Ungarn immer klarer zeige. Die Europaabgeordnete Regner meint, man müsse mit dem limitierten Budget Programme unterstützen, die Europas Zukunft wirklich sichern: "Zugtickets gehören da wohl eher weniger dazu."

Studentin Lena Wocelka war mit #DiscoverEU unterwegs. - © K. Yang
Studentin Lena Wocelka war mit #DiscoverEU unterwegs. - © K. Yang

Diesen Sommer waren die ersten Jugendlichen mit dem #DiscoverEU-Ticket auf Europas Schienen unterwegs. Unter ihnen war die Wiener Studentin Lena Wocelka. "Ich habe nette Leute kennengelernt, mit denen ich mich später wieder getroffen habe. Die Einheimischen sind meistens sehr aufgeschlossen, und es gibt so viele wunderschöne Orte in Europa", so Wocelka über ihren Trip. Am Morgen des ersten Tages der Bewerbungsfrist wurde Wocelka von ihrer Mutter aufgeweckt, um die online Bewerbung auszufüllen. Denn um ein Ticket zu gewinnen, muss man zuerst fünf Fragen in einem Online-Fragebogen richtig beantworten.