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Die irische Grenze schlägt zurück

Von Siobhán Geets

Politik
"Ich nutze Twitter, um Scharlatane und Heuchler auszulachen": Die irische Grenze hat endlich eine eigene Stimme. Zumindest in den Sozialen Medien.
© Twitter

Ein anonymer Twitter-Account bringt Schwung in die endlose Brexit-Debatte.


Belfast/Dublin. Sie ist der Elefant im Raum der Brexit-Verhandlungen, alle reden über sie, keiner weiß, wie es um ihre Zukunft bestellt ist. Jetzt meldet sich die irische Grenze selbst zu Wort - auf Facebook und Twitter, wo sie mehr als 57.000 Follower hat, darunter der irische Premierminister.

Mit ihren Postings - einer Mischung aus politischer Satire, schwarzem Humor und surrealen Gags - ist "The Irish Border" eine willkommene Abwechslung zu endlosen Brexit-Verhandlungen und dem Chaos in London. "Ich mag den Brexit nicht, aber als Grenze muss ich zugeben, ich bewundere seine Fähigkeit, ein Land komplett zu spalten", postet sie etwa auf Twitter - und vergleicht den Brexit mit Fußball und Cricket: "Die Briten haben es erfunden, dann stellt sich heraus, dass sie darin scheiße sind."

Wer hinter dem Account steckt, ist nicht bekannt. Fest steht, dass es sich um jemanden handelt, dem es auf die Nerven ging, dass in der Brexit-Debatte so getan wurde, als würde sich das Problem um die irische Grenze - immerhin bald eine EU-Außengrenze - schon irgendwie von alleine lösen. Eigentlich, schreibt die irische Grenze der "Wiener Zeitung" in einer Mail, wollte sie mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. "Ich hatte mich zur Ruhe gesetzt und die vergangenen 20 Jahre damit verbracht, die Schafe und die Wolken zu beobachten. Jeder hatte mich vergessen, doch dann kam der Brexit und plötzlich suchten Journalisten nach mir und Politiker erzählten Blödsinn über mich, also beschloss ich, mir Gehör zu verschaffen." Twitter schien ihr dafür der beste Kanal zu sein.

Denn die Frage, wie die rund 500 Kilometer lange Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland in Zukunft offen bleiben kann, ist entscheidend für den sozialen Frieden in der Region. Bis zum Karfreitagsabkommen von 1998 wurde die Grenze kontrolliert. Während dem Nordirlandkonflikt, der mehr als 3500 Menschen das Leben gekostet hat, gab es Militärposten, Panzer fuhren durchs Land, Stacheldraht und Gräben machten viele Übergänge unpassierbar. Heute pendeln täglich rund 30.000 Menschen zwischen Nordirland und der Republik. Die Grenze verläuft mitten durch Felder, Dörfer, Häuser, Wohnzimmer.

Neue Kontrollen entlang dieser 500 Kilometer hätten somit nicht nur Staus zu Folge. "Das ist eine hochsymbolische Angelegenheit", sagt die irische Grenze. "Das Karfreitagsabkommen hat den Nationalismus beider Seiten in Nordirland als gleichwertig anerkannt. Mich zu kontrollieren würde mich wieder sichtbar machen - im wörtlichen, aber auch im übertragenen Sinn. Das stört das Gleichgewicht."

Das sei auch der Grund, warum sie sich entschieden habe, in die Offensive zu gehen: "Die Menschen um mich herum haben eine traumatische Vergangenheit. Sie sollen weiter in Frieden leben können."

Der "Backstop", das Herzstück des Brexit-Deals von Theresa May, über den das britische Parlament am Dienstag abstimmt, würde die Grenze zumindest lassen, wie sie ist: unsichtbar. Diese Lösung sei das geringere Übel. Denn was ist die Alternative? "Ohne Abkommen auszuscheiden ist verrückt, das wissen auch die Abgeordneten in London."

"Ich bin wunderschön"

Weil London Nordirland schon immer stiefmütterlich behandelt hat, hat die Regierung das Thema lange ignoriert - oder es zumindest versucht. Irgendwann kamen die Politiker dann doch. Michel Barnier, der Brexit-Chefverhandler der EU, war ein paar Mal da - "er ist sehr nett". David Davis, den May nach ihrem Amtsantritt zum Brexit-Minister ernannt hatte, kam ein einziges Mal. "Er blieb ein paar Minuten, die Hände in den Taschen, und starrte in meinen Abgrund. Was er sah, machte ihm große Angst. Tatsächlich trat er kurz darauf zurück."

Mittlerweile herrscht großer Trubel, die irische Grenze ist in allen Medien. Dabei will sie nur eines: ihre Ruhe. "Ich möchte behandelt werden wie der in die Jahre gekommene Onkel, der nach einem üppigen Mittagessen in der Ecke eingeschlafen ist und vor sich hin schnarcht, ohne von der Familie geweckt zu werden." In zehn Jahren, so hofft die irische Grenze, wird sie wieder Museumsstatus haben. Besuch empfängt sie gerne, es lohne sich. "Ich bin wunderschön. Die Menschen um mich herum sind nett, lustig und verschroben." Selbst die Schafe seien amüsant.