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Wieder Volkspartei werden

Von Alexander Dworzak

Politik

Die neue CDU-Spitze muss die Parteiflügel zusammenführen.


Berlin/Wien. Nicht einmal die politische Schwester sieht in der CDU eine Volkspartei. Als "letzte Volkspartei Europas" bezeichnete CSU-Generalsekretär Markus Blume seine Kraft während des bayerischen Landtagswahlkampfs im Oktober. Nun ist Wahlkampf die Zeit fokussierter Unintelligenz, und Blume hat etwa die Südtiroler Volkspartei außer Acht gelassen. Aber der Grundbefund stimmt: Die deutschen Christkonservativen befinden sich im Tief. Bei einer Bundestagswahl bekäme die Union aus CDU und CSU derzeit nur 28 Prozent.

Auf die neue Person an der CDU-Spitze wartet eine enorme Aufgabe. Wem trauen die 1001 Delegierten beim Parteitag in Hamburg zu, die Union aus der Krise und zu Wahlsiegen zu führen? Nach 18 Jahren mit Angela Merkel an der Parteispitze haben die Funktionäre am Freitag die Wahl zwischen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Gesundheitsminister Jens Spahn sowie dem früheren Klubobmann und Polit-Rückkehrer Friedrich Merz. Alleine dass es zu einer Kampfabstimmung kommt, ist ein historischer Akt für die CDU. Sie hat ein solches Prozedere zuletzt 1971 erlebt, damals setzte sich Rainer Barzel gegen Helmut Kohl durch.

Migration im Mittelpunkt

Vor 47 Jahren war die westdeutsche Politlandschaft in jeglicher Hinsicht übersichtlicher, und im Bundestag saßen mit Union, SPD und FDP nur drei Fraktionen. Nun sind es doppelt so viele. Besorgt warnen deutsche Politiker vor niederländischen Verhältnissen. Im Nachbarland tummeln sich gleich 13 Parteien im Parlament. Davon ist der Bundestag weit entfernt, doch die Bindekraft der Volksparteien Union und SPD hat in den vergangenen Jahren stark abgenommen. Die Individualisierung und Fragmentierung der Gesellschaft macht es immer schwieriger, Stimmen aus sämtlichen Wählerschichten zu erringen. Merkels Mitte-Kurs hat zwar die SPD marginalisiert, die auch unter ihrer Rolle als Koalitions-Juniorpartner seit 2013 leidet. Den Platz rechts der CDU weiß aber die AfD mit Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik zu nutzen.

Merz stilisierte sich zum Hoffnungsträger auf eine Abwicklung der AfD. Er traue sich zu, die Nationalpopulisten zu halbieren und die CDU wieder in Richtung der 40-Prozent-Marke zu führen. Der 63-Jährige ließ aufhorchen mit seiner Infragestellung von Artikel 16a der deutschen Verfassung, wonach politisch Verfolgte Asylrecht genießen. Doch enthält die Regelung seit 1993 eine gravierende Einschränkung und gilt nicht, wenn die Person über ein anderes EU-Land einreist. Lediglich 1,3 Prozent der heuer gestellten Asylanträge fielen unter Artikel 16a, die restlichen unter die Genfer Konvention. Merz musste tags darauf zurückrudern - und die AfD sah den Beweis erbracht, dass er kein Konservativer, sondern lediglich ein Maulheld ist.

Auch Kramp-Karrenbauer und Spahn stellten die Flüchtlings- und Integrationspolitik in den Vordergrund. Kramp-Karrenbauer kämpfte gegen den Vorwurf an, sie sei zu liberal und auf Merkel-Linie, indem sie forderte, straffällige Asylwerber müssten auch in Kriegsgebiete wie Syrien abgeschoben werden. Dem widersprach sogar Innenminister Horst Seehofer, dessen Streit mit Merkel beim Thema Migration im Sommer fast zum Bruch zwischen CDU und CSU geführt hatte.

Gesundheitsminister Spahn fachte wiederum eine Debatte um den UN-Migrationspakt an. Der Bundestag verabschiedete daher einen Beschluss, wonach der Pakt "keine einklagbaren Rechte und Pflichten" beinhaltet. Dennoch wird auch beim bis Samstag dauernden CDU-Parteitag über das UN-Dokument abgestimmt - eine Symbolhandlung ohne jegliche gesetzliche Wirkung. Zudem bediente Spahn ein Thema, das bereits von der AfD besetzt ist.

AfD bleibt bei 15 Prozent

41 Prozent der Bürger sehen laut Forschungsgruppe Wahlen Ausländer, Integration und Flüchtlinge als wichtigstes Problem in Deutschland; das zweitwichtigste, Pensionen, folgt abgeschlagen mit 15 Prozent. Eine Strategie über die Migrations- und Integrationspolitik sind die drei CDU-Kandidaten jedoch schuldig geblieben. Und so hat die AfD während der acht Regionalkonferenzen mit Kramp-Karrenbauer, Spahn und Merz seit Mitte November und trotz der ausufernden Berichterstattung darüber kein bisschen an Popularität verloren.

Jene 15 Prozent für die AfD sind für die Union derzeit doppelt verloren. Denn eine Koalition mit der AfD kommt für die Bundespartei nicht infrage. Um die AfD zu dezimieren, taugt der alte Merkel-Kritiker Merz - wie auch Spahn, aber der scheint aus dem Rennen - besser als Kramp-Karrenbauer. Die Generalsekretärin ist wiederum das attraktivere Vorsitzangebot an jene bürgerlich-liberalen Wähler, die nach dem Union-Dauerstreit Richtung Grüne abgewandert sind. Ohne viel eigenes Zutun hält die Öko-Partei bei 22 Prozent.

Beide Flügel benötigen einander, will die CDU ihren Vorsatz der Volkspartei umsetzen. Erstes Vehikel könnte der Generalsekretärs-Posten sein. Kramp-Karrenbauer würde ein prononcierter Konservativer zur Seite gestellt. Für Merz bietet sich eine liberalere Person an, idealerweise aus einem Ost-Bundesland.