Zum Hauptinhalt springen

EU-Solidarität in vielen Varianten

Von Martyna Czarnowska

Politik

Von Finanzfragen bis zur Asylreform: Den Staats- und Regierungschefs mangelt es nicht an Themen.


Brüssel/Wien. Ginge es nach Jean-Claude Juncker, wäre es ein "Beschlussgipfel". Der EU-Kommissionspräsident wünscht sich Entscheidungen, wenn die Staats- und Regierungschefs der Union am heutigen Donnerstag zu ihrem zweitägigen Gipfeltreffen in Brüssel zusammenkommen. Dieses dürfe keine "gewöhnliche" Spitzenzusammenkunft sein, meinte Juncker bei einem Auftritt im EU-Parlament am Dienstag: "Genug der Rede - es muss umgesetzt werden."

Ob es allerdings nicht erneut eine Verzögerung geben wird, ist offen. Etliche Themen wurden bereits auf die Dezember-Sitzung verschoben. Eine Reform des Asylsystems, eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, Debatten um Finanzstabilität und Haushaltsdisziplin: In all diesen Bereichen gilt es, Entschlüsse zu fassen. Dass außerdem Energie in die Brexit-Beratungen gesteckt werden muss, trägt nicht unbedingt zur Beschleunigung bei.

Im Gegenteil: Nachdem die Abstimmung im britischen Unterhaus über das Trennungsabkommen mit der EU für diese Woche abgesagt worden war, hat EU-Ratspräsident Donald Tusk auch noch ein zusätzliches Treffen der 27 bleibenden Mitgliedstaaten einberufen - ebenfalls für Donnerstag. Freilich haben EU-Vertreter zunächst einmal betont, dass Neuverhandlungen mit London über die Austrittsvereinbarung nicht in Frage kommen.

Gezerre um EU-Budget

Bevor sich die Politiker aber damit beschäftigen, stehen die Pläne für das künftige mehrjährige EU-Budget auf der Agenda. Ihren Entwurf hat die EU-Kommission schon im Mai vorgelegt. Sie schlägt vor, für die Jahre 2021 bis 2027 insgesamt rund 1,279 Billionen Euro einzuplanen und mehr Geld für Verteidigung, Forschung, Jugend und Grenzschutz auszugeben. Finanzhilfen für Landwirte und strukturschwache Regionen sollen aber gekürzt werden. Das gefällt einigen Ländern genauso wenig wie anderen Mitgliedern die angestrebte Erhöhung der Gesamtausgaben. Es ist erst der Auftakt zum Milliarden-Euro-Poker, auf den in den kommenden Monaten zähe Verhandlungen folgen werden.

Noch weiter entfernt als von einer Budgeteinigung sind die Länder von einer umfassenden gemeinsamen Flüchtlingspolitik. Überlegungen zum Thema Migration sollen dennoch am Freitag ebenfalls Eingang in das Schlussdokument des Gipfels finden.

Doch die Pläne zu einer Verteilung von Asylwerbern innerhalb der Union scheitern ja seit Jahren am Widerspruch mehrerer EU-Länder. Dabei müsste ein neues Modell von Verantwortlichkeiten gefunden werden, wenn das Dublin-System reformiert werden soll. Die Regelung sieht bisher vor, dass derjenige Staat für die Überprüfung eines Asylantrags zuständig ist, in dem ein Schutzsuchender auf EU-Territorium gelangt ist.

Diese Vorgabe wollen jene Länder aufweichen, die eine EU-Außengrenze haben. Vor allem Italien pocht auf eine Form der Verteilung der Asylwerber. Eine Möglichkeit wäre eben eine verpflichtende Aufnahmequote für alle Mitglieder, was wiederum Deutschland lange Zeit befürwortet hatte.

Doch ist der Zwist darum so verfahren, dass mittlerweile auch Berlin andere Varianten abzuwägen scheint. Beim Treffen der EU-Innenminister in der Vorwoche wurde ein Positionspapier verteilt, das Berlin und Paris gemeinsam verfasst hatten. Darin wird zwar an der Idee der Verteilung von Flüchtlingen im Regelfall festgehalten. Doch sollen Ausnahmen möglich sein, wenn ein Land "berechtigte Gründe" dafür anführen kann. Es könnte dann "alternative Schritte der Solidarität" unternehmen. Nach den deutsch-französischen Vorstellungen könnten das beispielsweise Zahlungen in das EU-Budget oder materielle Hilfe sein.

Über Alternativen zur Aufnahme von Schutzsuchenden hatten zuvor schon Länder wie Ungarn oder die Slowakei nachgedacht. Geldüberweisungen in den gemeinsamen Haushalt kamen ihnen allerdings nicht in den Sinn. Stattdessen verwies Budapest etwa darauf, dass es Grenzschützer zur Unterstützung anderer Länder entsende. Überhaupt sei die Kontrolle der EU-Außengrenzen das wichtigste Instrument in der Flüchtlings- und Migrationspolitik.

Grenzschutz als Schwerpunkt

Einen Schwerpunkt darauf legt auch Österreich, das noch bis Jahresende den EU-Vorsitz innehat. Dies betonte Bundeskanzler Sebastian Kurz schon beim Gipfeltreffen im Oktober - und sprach von einer "verpflichtenden Solidarität", die an Stelle einer Pflichtquote treten sollte und die zu bedeuten hätte, dass "jeder einen Beitrag leistet, wo er kann". Eine breite Debatte im Kreis seiner Amtskollegen hatte er dazu allerdings nicht angestoßen. Das Konzept einer "flexiblen Solidarität" hatten übrigens schon zuvor die Slowaken lanciert.

Wie schwierig sich die Suche nach Kompromissen gestaltet, zeigt allein das Tauziehen um eine Aufstockung der Grenzschutzagentur Frontex. Im Prinzip wird das Vorhaben von so gut wie allen Mitgliedstaaten begrüßt. Doch gestaltete sich das Ringen um die Details so zäh, dass die Pläne, die Behörde bis 2020 auf 10.000 Mitarbeiter auszubauen, massiv wackeln. Es ist schon vom Zieldatum 2027 die Rede.

Es wird daher ein abgespecktes Maßnahmenpaket zur Migrationspolitik sein, hinter das sich die Staats- und Regierungschefs stellen sollen. So könnte das Gesetzgebungsverfahren bei manchen Vorhaben - wie etwa zum Ausbau der Fingerabdruck-Datenbank Eurodac - beschleunigt werden. Die Reform der Dublin-Regelung hingegen muss weiter warten.