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Brexit-Trockenübung: Viel Stau für nichts

Von Siobhán Geets

Politik

London erntet Spott für eine No-Deal-Trockenübung. May versucht hektisch, ihr Brexit-Abkommen mit der EU zu retten.


London/Wien. Montagfrüh, kurz nach Sonnenaufgang, warten 87 LKW auf einem alten Flughafen im Norden von Kent. Später fahren sie die 32 Kilometer nach Dover, dem wichtigsten Hafen für den Handel mit der EU, und wieder zurück. Zu Mittag findet die Übung ein zweites Mal statt. Es sollte ein Probelauf für den Ernstfall sein, eine Art Trockentraining als Vorbereitung für ein chaotisches Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU. Doch einmal mehr handelt sich die Regierung in London Spott und Hohn ein.

Als "Zeitverschwendung" bezeichneten nicht nur die LKW-Fahrer die Aktion. In Dover werden 17 Prozent des Güterhandels mit der EU abgewickelt, bis zu 16.000 LKW fahren hier täglich durch. Im schlimmsten Fall müssten wieder Zollkontrollen eingeführt werden - kilometerlange Staus wären die Folge. "Die Vorstellung, wir könnten der EU mithilfe eines fingierten Staus zeigen, dass wir bereit sind für einen No-Deal, ist schlicht dumm", sagte die liberal-demokratische Abgeordnete Layla Moran am Montag zur Nachrichtenagentur Reuters. "Das ist eine vom Steuerzahler finanzierte Farce."

Eine Reederei ohne Fähren

Spott über die Vorbereitungen für den No-Deal-Brexit hat die Regierung in London auch vorige Woche einstecken müssen, als herauskam, dass sie einen rund 15 Millionen Euro schweren Auftrag für zusätzliche Fährverbindungen an eine Reederei vergeben hatte, die gar keine Schiffe besitzt.

Geholfen haben die Aktionen der britischen Premierministerin nicht. Theresa May befindet sich schon wieder mitten im politischen Überlebenskampf, der Jahreswechsel hat nichts an ihrer Situation geändert. Immer noch kämpft May darum, ihr mit der EU ausgehandeltes Abkommen durchs britische Unterhaus zu boxen. Eine Woche bleiben ihr noch für letzte Überredungsversuche, am 15. Jänner soll abgestimmt werden. Doch es sieht nicht gut aus für May. Das ursprünglich für den 11. Dezember geplante Votum hat sie verschoben, weil sich eine Niederlage abgezeichnet hatte. Daran geändert hat sich nichts - weder ihre eigenen konservativen Tories noch der inoffizielle Koalitionspartner, die nordirische DUP, haben sich zu Mays Gunsten bewegt. Einer Meinungsumfrage zufolge glauben nur 18 Prozent der Briten an den Deal ihrer Premierministerin.

In London werfen beide Seiten, sowohl die Befürworter eines zweiten Referendums als auch die Verfechter eines harten Bruchs mit der EU May vor, auf Zeit zu spielen: Je näher der EU-Austritt am 29. März rückt, desto schwerer wiegen die Argumente der Premierministerin, doch für ihren Deal zu stimmen - weil das Königreich sonst ohne Abkommen aus der EU schlittert oder es ein zweites Referendum geben muss.

May spekuliert auf zweite Runde

Eines muss man May lassen: So leicht gibt sie nicht auf. Obwohl der Deal mit der EU bereits seit November fertig verhandelt ist und Brüssel mehr als einmal klargemacht hat, das Paket nicht mehr aufzuschnüren, versucht May immer wieder, die EU zu Zugeständnissen zu bewegen. Eine Wiederaufnahme der Verhandlungen sei ausgeschlossen, hieß es zuletzt am Montag aus Brüssel.

Doch vielleicht braucht es das gar nicht. May rechnet wohl mit einer Niederlage im Unterhaus, zumindest beim ersten Versuch. Die britische Premierministerin könnte auf eine zweite Abstimmung spekulieren - und damit, dass Brüssel dann doch noch bereit ist, Zugeständnisse zu machen, um alle vor einem No-Deal-Brexit zu bewahren. Zudem könnten dann auch die Bilder, die London so ambitioniert verbreitet (Stau bei Dover, Mobilisierung von 3500 Soldaten nach dem Brexit, Millionen für zusätzliche Fähren) endlich Wirkung zeigen und wankende Abgeordnete überzeugen, in einer zweiten Runde für Mays Deal zu stimmen.

Dazu bräuchte es aber Bewegung in der Irlandfrage. London will den "Backstop", der den vorläufigen Verbleib des Königreichs in der Zollunion garantiert und eine harte Grenze in Irland verhindert, zeitlich begrenzen. Doch der Backstop würde nur durch ein neues Handelsabkommen mit der EU obsolet. Wenn Brüssel versichert, dass ein neues Handelsabkommen mit dem Königreich spätestens 2021 in Kraft tritt, so die Hoffnung der Regierung in London, dann würden genug Tory-Abgeordnete doch noch für Mays Deal stimmen. Doch darauf will sich Brüssel nicht einlassen.