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Westminster ändert Spielregeln im Brexit-Poker

Von Siobhán Geets

Politik

Das britische Parlament setzt eine Hürde für den No-Deal-Brexit. Scheitert May mit ihrem Abkommen im Unterhaus, muss sie innerhalb von drei Tagen einen neuen Plan vorlegen.


London/Wien. Die britische Premierministerin hat viele Gespräche geführt in den vergangenen Tagen. Mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte. Doch es hat sich nichts geändert für Theresa May, die EU will ihr keinerlei Zugeständnisse machen. "Das Abkommen wird nicht nachverhandelt", heißt es dazu regelmäßig aus Brüssel.

Und so wird eines immer klarer: Wenn die Abgeordneten in Westminster am kommenden Dienstag über den Brexit-Deal abstimmen, wird die Premierministerin eine weitere Niederlage erleben. Eigentlich hatte das Votum bereits am 11. Dezember stattfinden sollen, doch weil sich keine Mehrheit für ihr Abkommen abzeichnete, machte May im letzten Moment einen Rückzieher. Geändert hat die Verschiebung nichts - die Tory-Chefin kann den Abgeordneten nichts vorlegen, das sie überzeugen würde.

Britisches Parlament ändert Spielregeln im Brexit-Poker

Eine Mehrheit gibt es nur in einem Punkt: Die meisten Parlamentarier wollen einen No-Deal-Brexit, also das Ausscheiden aus der EU ohne Vereinbarung, auf jeden Fall vermeiden. Genau damit droht May: Stimme das Parlament nicht für ihren Deal, dann scheide das Vereinigte Königreich am 29. März einfach aus der Union aus.

Nun haben die Abgeordneten zum Gegenschlag ausgeholt und durchgesetzt, dass die Regierung bei einem No-Deal-Brexit die Zustimmung des Parlaments benötigt, bevor sie auf bestimmte Befugnisse bei der Steuer-Gesetzgebung zurückgreifen kann. 303 Parlamentarier stimmten für diesen Weg, 296 dagegen.

Einen weiteren Rückschlag musste May am Mittwoch einstecken, gleich zu Beginn der Unterhausdebatte über die "meaningful vote", die "bedeutsame Abstimmung" am kommenden Dienstag. Das Unterhaus stimmte mit 308 zu 297 Stimmen für einen Antrag, der die Premierministerin dazu zwingt, binnen drei Tagen nach ihrer Niederlage einen neuen Brexit-Plan vorzulegen. Eigentlich waren dafür 21 Tage vorgesehen. Die Regierung schäumte, denn die Entscheidung hebt Mays Pläne aus den Angeln.

Eigentlich wollte die Premierministerin eine zweite Abstimmung über ihren Brexit-Vertrag möglichst spät ansetzen, um ihn als einzige Alternative zu einem No-Deal verkaufen zu können. Die Angst vor dem wirtschaftlichen Chaos, so die Hoffnung Mays, würde am Ende genug Abgeordnete überzeugen, doch noch für ihren Deal zu stimmen. Es scheint, als wolle die Tory-Chefin das Parlament so lange abstimmen lassen, bis es ja sagt. Dieser Plan dürfte nun scheitern - im Kampf um Mitbestimmung beim Brexit hat das Parlament einen Etappensieg errungen.

Theresa May gerät nun noch stärker unter Druck. Auch die oppositionelle Labour-Partei scharrt mit den Hufen. Ihr Chef Jeremy Corbyn hat lange gezögert, sich für ein zweites Referendum einzusetzen. Spricht sich das Parlament gegen Mays Deal aus, dann gibt es für Corbyn keine Ausreden mehr. Er wird einen Misstrauensantrag gegen die Regierung stellen müssen - und sich dann, wenn dieser scheitert, für ein zweites Referendum einsetzen. Geht der Misstrauensantrag wider Erwarten durch, kommt es zu Neuwahlen.

Ein Drittel der Tories stellt sich gegen Mays Deal

Scheitert May im Parlament, muss sie nicht nur innerhalb von drei Tagen einen Plan B vorlegen. Der Antrag sieht auch vor, dass die Abgeordneten ihre eigenen Brexit-Wünsche vorlegen können. Das Problem: Keine der Alternativen hat die Chance auf eine Mehrheit im Parlament. Lehnt Westminster Mays Deal ab und gibt es keine Mehrheit für eine andere Idee, scheidet das Königreich am 29. März automatisch aus der EU aus - ob die Abgeordneten das nun wollen oder nicht.

Den Anstoß für den Plan-B-Antrag in Westminster gaben übrigens Abgeordnete aus Theresa Mays eigener konservativer Partei. Die Premierministerin hat bisher nichts dafür getan, das Parlament in der Brexit-Frage zu einen. Sie bevorzugte es, sich als starke Premierministerin mit unverrückbarer Haltung zu positionieren. Sie hat das Parlament nicht in ihre Entscheidungen miteingebunden, sie war zu beschäftigt damit, die Brüche innerhalb ihrer eigenen Fraktion zu kitten.

Gelungen ist ihr das nicht, im Gegenteil: Nicht genug damit, dass Mays Abkommen weit entfernt davon ist, eine Mehrheit im Parlament zu gewinnen. Auch innerhalb ihrer eigenen Tory-Partei kann sie sich lediglich auf die Unterstützung von 210 der 317 Abgeordneten verlassen.