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"Blauhelme sind die Lösung"

Von Thomas Seifert

Politik

Eine UN-Mission könnte den Konflikt in der Ostukraine befrieden, sagt der ukrainische Oberkommandierende.


Sergej Ivanovich Najew (geb. 30. April 1970) ist seit 7. März 2018 stellvertretender Chef des Generalstabs der Streitkräfte der Ukraine und zudem verantwortlich für die Operationen der ukrainischen Streit- und Sicherheitskräfte in der Ostukraine. In seiner Jugend diente er einer sowjetischen Grenadiereinheit, die 1991 aus dem wiedervereinigten Deutschland abgezogen wurde. In der ukrainischen Armee hatte er ab 1993 verschiedene Positionen inne - unter anderem als Kommandeur der Landstreitkräfte.
© Thomas Seifert

"Wiener Zeitung": Wie würden Sie die aktuelle Lage in der Ostukraine charakterisieren?

Sergej Najew: Die Situation an vorderster Linie kann trotz ihrer Komplexität als stabil und kontrolliert charakterisiert werden. Die russischen Besatzungstruppen attackieren zwar derzeit nicht, aber das heißt nicht, dass sie ihre Versuche eingestellt haben, im Konflikt weiter zu provozieren. Derzeit ist der Feind vor allem im Raum Mariupol und im Gebiet des Asowschen Meeres sehr aktiv. Das Asowsche Meer ist für Russland von besonderem Interesse, weil Moskau darin die Möglichkeit sieht, weiter auf ukrainisches Territorium vorzurücken. Und vor allem will Moskau einen Landkorridor zu der von Russland besetzten Halbinsel Krim erzwingen.

Welchen Herausforderungen sehen Sie sich gegenüber?

Die größte Herausforderung für die vereinigten Streitkräfte - aber auch für die gesamte Ukraine - ist die konstante Eskalation der Spannungen durch die Russische Föderation. Wenn man die Vorkommnisse der vergangenen Jahrzehnte analysiert, dann kann man wohl den Schluss ziehen, dass das Regime von Wladimir Putin versucht, die Bürger von der immer größer werdenden politischen und wirtschaftlichen Krise des Landes abzulenken, indem man Länder, die nach der Lesart des Kremls "brüderliche Hilfe" benötigen, destabilisiert. Ich denke da etwa an Abchasien oder Nord-Ossetien oder auch Transnistrien. Und nun stehen eben auch die Krim, die Ostukraine und Syrien auf dieser Liste. Überall dort, wo Russland auftaucht, gibt es dann wirtschaftliche und soziale Probleme und militärische Konflikte und Konfrontationen. Ich glaube, ich muss nicht extra darauf hinweisen, dass das Putin-Regime auch gegenüber Europa immer aggressiver auftritt. So tauchen russische Schiffe und Flugzeuge in unmittelbarer Nähe der Grenzen der baltischen Länder, Skandinaviens und der Türkei auf. Zudem wird die Haltung des Kremls gegenüber Ländern, die nicht mit der Politik Moskaus einverstanden sind, zunehmend härter. In Europa ist es die Ukraine, die dieser globalen Bedrohung der Demokratie und Stabilität entgegentritt.

Welche Fortschritte gibt es, die Situation für die einheimische Bevölkerung zu stabilisieren?

Um die Lage vollständig zu stabilisieren, müssen wir zuerst den Feind im Donbass zurückschlagen - das ist klar. Es ist aber für uns genauso wichtig, schon jetzt die Infrastruktur in der Region wiederherzustellen und das Leben der Menschen in der Konfliktzone zu stabilisieren.

Die OSZE berichtet von täglichen Verletzungen des Waffenstillstands. Was unternehmen Sie, um sicherzustellen, dass es keine Waffenstillstands-Verletzungen gibt?

Unsere Seite hält sich strikt an das Minsker Abkommen. Wir setzen uns auch besonders für Initiativen ein, die einen Beschuss von Gebieten speziell während religiöser Feiertage oder am Beginn des neuen Schuljahres unterbinden sollen. Die gegnerische Seite nutzt diese Waffenstillstandsperioden freilich, um die eigenen Truppen umzugruppieren und neue Provokationen zu setzen - und das kann nicht nur von unseren Soldaten, sondern auch von den internationalen Beobachtern bestätigt werden. Daher muss ich leider sagen: Ich habe keine Ahnung, was man tun kann, damit die russischen Besatzungstruppen ihre Waffenstillstandsverletzungen stoppen. Es gibt für mich nur einen Weg: Wir brauchen eine klare Position der internationalen Staatengemeinschaft bei der Verurteilung der aggressiven Akte Russlands. Wir brauchen auch einen größtmöglichen Grad an Öffentlichkeit und Information über die ständigen Waffenstillstandsverletzungen durch die russische Seite in den internationalen Medien und weitere harte Sanktionen gegen den Aggressor-Staat Russland. Die Führung der sogenannten "Pseudorepubliken" (damit meint Najew die besetzte Region Donezk und Luhansk, die sich als Volksrepublik Donezk und Volksrepublik Luhansk bezeichnen, Anm.) ist völlig vom Kreml abhängig und nur Moskau ist in der Lage, den Konflikt im Donbass zu beenden. Wir lassen uns von der gegnerischen Seite aber auch nicht vorführen: Wir haben das Recht, auf gegnerische Provokationen zu antworten oder aktiv zu werden, wenn das Leben oder die Gesundheit von Militärpersonal oder Zivilisten auf dem Spiel steht.

Wie kann der Konflikt aus Ihrer Sicht beendet werden?

Ich stimme völlig mit der Position des Präsidenten der Ukraine Petro Poroschenko überein, dass die einzige Lösung für den Konflikt im Donbass auf politischer Ebene liegt. Wir brauchen einen sehr aktiven Verhandlungsprozess, der die Wiederherstellung der territorialen Integrität unserer Nation sicherstellt. Das soll durch die Versuche nicht nur der Ukraine, sondern auch die Weltdiplomatie und jener internationalen Institutionen erfolgen, die in der Lage sind, Russland in die Schranken zu weisen.

Konkret: Glauben Sie, dass eine Blauhelmmission der Vereinten Nationen einen Beitrag zur Stabilisierung leisten könnte?

Mit Sicherheit. Freilich aber nur unter jenen Bedingungen, die mit der Führung unseres Staates ausgehandelt wurden. Unser Verteidigungsminister General Stepan Poltorak hat zuletzt bei einer Rede gesagt: "Ich hoffe, dass die Weltgemeinschaft die Anstrengungen der Ukraine erkennt und uns beisteht, indem ein effektives und schlagkräftiges Modell einer Friedenstruppenmission gefunden wird. Blauhelme sind die Lösung. Eine UN-Friedensmission im Osten unseres Landes, könnte das von der russischen Militärintervention ausgelöste Blutvergießen stoppen. Eine solche Friedenstruppe unter der Ägide der Vereinten Nationen braucht ausgedehnte Vollmachten im Konfliktgebiet und muss auch an der russisch-ukrainischen Grenze permanent präsent sein."

Präsident Poroschenko hat in Gesprächen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg seinen Vorschlag bezüglich einer Friedenstruppe aus dem Jahr 2015 in Erinnerung gerufen: "Immerhin hat unser Wirken dazu geführt, dass Russland nun klar als Aggressorland erkannt und die Schaffung einer Friedensmission nun von allen Nato-Mitgliedern unterstützt wird."

Es gibt aber unterschiedliche Positionen zwischen Russland und der Ukraine, was eine Blauhelmmission betrifft.

© Thomas Seifert

Allerdings! Die russische Seite will von einer Kontrolle der russisch-ukrainischen Grenze durch UNO-Blauhelmsoldaten nichts wissen und ist der Meinung, dass die Friedenstruppe entlang der Konfliktzone stationiert werden sollte. Wir sind hingegen der Meinung, dass im Falle der Anerkennung der Präsenz von Friedenstruppen an der ukrainisch-russischen Grenze der Konflikt im Osten viel schneller eingegrenzt werden kann, weil die russischen Okkupationskräfte damit isoliert und gleichzeitig gezwungen würden, die Ukraine zu verlassen.

Fürchten Sie, dass es in den kommenden Monaten zu einer Eskalation kommen könnte?

Es ist immer schwierig, in die Zukunft zu blicken. Erst recht, wenn man es mit einer derart volatilen Situation zu tun hat wie wir hier in der Ostukraine. Ich fürchte aber, dass Moskau seinem eigenen außenpolitischen Prinzip treu bleiben wird: "Je schlimmer, desto besser."