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Merkel und Tsipras brauchen einander

Von Alexander Dworzak

Politik

Deutschland wirbt um die Einigung Griechenlands mit Nordmazedonien.


Bei Angela Merkels letztem Staatsbesuch in Griechenland, 2014, forderte Alexis Tsipras sie noch zur Heimreise auf. Einige Monate später wurde der damalige Chef der oppositionellen Syriza Premierminister. Seitdem hat sich das Verhältnis radikal gewandelt: Merkel hielt Griechenland gegen den Willen ihres damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble in der Eurozone, Tsipras stimmte zähneknirschend einem weiteren Rettungspaket für Griechenland unter dem "Diktat" der Gläubiger zu. Sie ließ ab 2015 hunderttausende Migranten über Griechenland nach Westeuropa passieren, er kooperierte infolge des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals mit dem Nachbarstaat.

Premier droht mit Neuwahl

Vor ihrem nunmehrigen, bis Freitag angesetzten Besuch in Athen hatte Merkel versichert, dass Griechenland weiterhin auf die "Partnerschaft und Freundschaft" Deutschlands zählen könne. Der EU-Türkei-Flüchtlingspakt müsse konsequent fortgesetzt werden, sagte sie am Donnerstagabend nach einem Treffen mit Tsipras. "Wir werden konstruktiv mit Griechenland zusammenarbeiten, um die Lage zu verbessern", betonte die Kanzlerin. Die Bürger Europas müssten sich gegen die populistischen Kräfte wehren, die die EU in "dunkle Zeiten zurückwerfen" wollten, sagte dazu Tsipras.

Zusammenarbeit ist weiterhin angesagt – und mühsame Überzeugungsarbeit. Merkel stützt Tsipras, den die geplante Beilegung des 27 Jahre andauernden Namensstreits mit Mazedonien sein Amt kosten könnte. Bis zum 15. Jänner will das Parlament in Skopje abstimmen, ob sich der Staat in Nordmazedonien umbenennt. Danach wären die Parlamentarier in Athen am Zug. Stimmen sie zu, wäre nicht nur der Namenskonflikt aus dem Weg geräumt, sondern auch der Weg für Mazedoniens Mitgliedschaft in der Nato und später in der EU freigemacht. Griechenland blockierte aus Sorge, Mazedonien könnte Gebietsansprüche an der gleichnamigen nordgriechischen Provinz erheben.

Bloß hält ein Großteil der Griechen wenig von der Einigung und auch die meisten Abgeordneten von Tsipras’ Koalitionspartner Anel sind dagegen. Der Premier kündigte daher an, am Freitag mit Anel-Chef Panos Kammenos klären zu wollen, ob dieser noch die Regierung stütze. Lautet die Antwort Nein, droht Tsipras mit der Vertrauensfrage im Parlament. Fällt er durch, wird die für Oktober angesetzte Parlamentswahl wohl vorverlegt. Derzeit liegt Syriza bei nur 23 Prozent, mehr als zehn Prozentpunkte hinter der konservativen Nea Dimokratia (ND).

Deren Vorsitzenden, Kyriakos Mitsotakis, trifft Merkel am Freitag. Er lehnt die Vereinbarung um Nordmazedonien ab. Stellt die ND – wie die CDU Mitglied in der Europäischen Volkspartei – den neuen Regierungschef, gibt es kein Abkommen. Die von Deutschland vorangetriebene Westanbindung Mazedoniens und die Zurückdrängung des russischen Einflusses in der Region würde einen herben Rückschlag erleiden. Merkel muss also auf Tsipras setzen. Im Gegenzug hofft der griechische Premier auf deutsche Impulse für die marode Wirtschaft.

"Mir ist bewusst, dass die letzten Jahre für viele Menschen in Griechenland sehr schwierig waren", sagte Merkel zur griechischen Zeitung "Kathimerini". Der Staatsbankrott wurde unter Einsatz von 289 Milliarden Euro seit 2010 vermieden. Zwar ist das Land seit August 2018 nicht mehr unter dem Euro-Rettungsschirm, konnte aber noch keine Anleihe auf dem Kapitalmarkt platzieren. Donnerstagabend betonte die Kanzlerin, sie rechne mit einer Rückkehr Griechenlands an die Finanzmärkte. "Mein Besuch, meine Arbeit hat dies zum Zweck, dass Griechenland auf eigenen Beinen stehen kann und sich über die Märkte finanzieren kann", sagte sie.

In Sachen Verschuldung (178 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) und Arbeitslosigkeit (18 Prozent) ist Griechenland trauriger Spitzenreiter in der EU. Die hohen Sparauflagen der Geldgeber führten zur Verarmung weiter Teile der Bevölkerung; mehr als die Hälfte verdient weniger als 800 Euro brutto pro Monat. Merkel wird dafür mitverantwortlich gemacht. "Wilde Sparpolitik" und die "monumentale Zerstörung" machte die linke Partei Laiki Enotita in einem Protestaufruf aus.