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Ein Zug nach nirgendwo

Von Alexander Dworzak

Politik

Kein Plan, wirtschaftliches Versagen: Der Rechnungshof gibt ein vernichtendes Urteil über die Deutsche Bahn ab.


Berlin/Wien. Zumindest online konnte die Deutsche Bahn (DB) dieser Tage einen Erfolg verbuchen: Das Team der Digital- und Kommunikationsabteilung setzte sich bei der Versteigerung des "Verspätungsschals" durch. 7500 Euro erhält eine Dame aus der Nähe von München für ihren selbst gestrickten Schal; sie spendet den Erlös an die Bahnhofsmission. Mithilfe ihres Schals hatte sie die Verspätungen im Laufe des vergangenen Jahres dokumentiert. Jeden Tag strickte sie zwei Reihen: Dunkelgraue, wenn der Zug weniger als fünf Minuten Verspätung hatte, rosa wurden sie bei fünf bis 30 Minuten Unpünktlichkeit und rot, wenn der Zug sowohl bei Hin- und Rückfahrt verspätet war - oder einmal mehr als 30 Minuten nach dem Zeitplan einfuhr.

Der eineinhalb Meter lange Schal ergibt ein für die Deutsche Bahn desaströses Bild. Nicht nur im Regionalverkehr, auch bei Fernzügen war die Bilanz 2018 eine Katastrophe; dort war ein Viertel aller Fernzüge unpünktlich. Das Ziel, diese Quote auf 20 Prozent zu drücken, will die DB aber erst nach dem Jahr 2025 schaffen.

Die Entschuldung verspielt

Verkehrsminister Alexander Scheuer (CSU) verlangt nun bereits bis diesen Sommer "sichtbare Verbesserungen". Er verkündete am Donnerstag, dass heuer 22.000 Mitarbeiter eingestellt werden sollen, darunter Lokführer und Techniker. Das sind um 9000 Personen mehr als ursprünglich geplant. 2018 wurden bereits 24.000 Mitarbeiter eingestellt; die Zahl der Abgänge verkündete Scheuer jedoch nicht. Insgesamt sind rund 300.000 Personen konzernweit beschäftigt.

Weitere Sofortmaßnahmen umfassten verschönerte Bahnhöfe, besseres Störungsmanagement und erweiterte Informationen über Gleiswechsel und Wagenreihungen, kündigte der Verkehrsminister an. Und es gebe den politischen Willen, "massiv" in die Infrastruktur zu investieren.

Scheuers Versprechen haben jedoch einen Haken: Wie sie finanziert werden soll, ist nicht geklärt. Das gilt sowohl für die Personalkosten als auch für Ausgaben in das Schienennetz und für neue Züge. In diesen drei Bereichen klafft in den Berechnungen bis 2023 eine Finanzierungslücke in Höhe von elf Milliarden Euro.

Just, als Scheuer mit guten Nachrichten für die Kunden ausgerückt war, stellte der Präsident des deutschen Rechnungshofs, Kay Scheller, einen vernichtenden Bericht vor. Er knöpfte sich nicht nur das Bahn-Management vor, sondern zeige auch das Versagen der Politik schonungslos auf. Vor 25 Jahren wurden mit der Bahnreform zwei Ziele festgeschrieben: Das nun privatrechtlich organisierte, aber noch immer vollständig im Staatseigentum befindliche Unternehmen sollte Marktanteile vom Straßenverkehr zurückgewinnen und den Bund finanziell entlasten. Beides geschah unter Verkehrsministern von CDU, CSU und SPD nicht - noch viel schlimmer: Die damals entschuldete Bahn habe rund 20 Milliarden Euro Schulden angehäuft, kritisierte Scheller. "Der Verfassungsauftrag ist liegen geblieben. Und der Bund hat tatenlos zugeschaut."

Es droht weiter bergab mit der DB zu gehen. Die Prognose für den Gewinn vor Steuern und Zinsen für 2019 wurde von 2,7 auf 1,9 Milliarden Euro nach unten korrigiert. Die Bahn sei nicht in der Lage, aus ihrem Gewinn die nötigen Investitionen für das laufende Geschäft zu bezahlen, fürchtet der Rechnungshof. Die Gütersparte DB Cargo sollte eigentlich 2018 aus den roten Zahlen kommen, nun gilt 2021 als Zieldatum. Auch die Umsatzprognose für 2019 wurde gesenkt, auf 45,4 Milliarden Euro.

Um sich finanziell Luft zu verschaffen, steht der Verkauf der Auslands-Tochter Arriva zur Disposition, die bis zu 4,5 Milliarden Euro wert ist. Der Bus- und Bahndienstleister ist in 14 europäischen Ländern aktiv - von Portugal und Irland im Westen bis nach Polen und Serbien im Osten. Die Auslandsaktivitäten, auch der Logistiktochter DB Schenker, ziehen ebenfalls den Ärger des Rechnungshofes auf sich: "Statt sich auf das Gemeinwohl zu konzentrieren, ist sie zum Global Player geworden", schimpft Präsident Scheller über die DB. Der Gewinn der Töchter bliebe fast komplett im Ausland, das Geschäft in Deutschland profitiere nicht. Abermals nimmt Scheller den Bund in die Pflicht. Dieser müsse klarmachen, ob sich die Bahn an Gemeinwohl oder Gewinn orientieren solle.

Bisher dachten die Konzernlenker vor allem groß, und nicht nur bei der Expansion. Im Inland ist der Bahnhof "Stuttgart 21" zum Sinnbild für die Verschleuderung von Steuergeldern geworden. Der 2010 begonnene Bau sollte eigentlich 4,5 Milliarden Euro kosten. Mittlerweile liegen die Kalkulationen bei 8,2 Milliarden Euro - und einer Eröffnung erst 2025. "Mit dem Wissen von heute würde man das Projekt nicht mehr bauen", gab DB-Chef Richard Lutz zu.

"Leben von der Substanz"

Geht es um Chaos in der Verkehrsplanung, ist der Weg in andere Sektoren nicht weit. Berlins Hauptstadtflughafen BER hat sich ebenfalls zu einem Milliarden-Debakel entwickelt; dort ist der Kostenrahmen von zwei auf 6,5 Milliarden gestiegen. Immerhin scheint nun ein Eröffnungsdatum in Sicht: Herbst 2020, mit neun Jahren Verspätung.

Im Gegenzug fehlt es bei der Verkehrsinfrastruktur an Investitionen über 40 Milliarden Euro, meint der Deutsche Städte- und Gemeindebund. "Wir leben sozusagen von der Substanz", sagt desen Präsident Uwe Brandl. In den Städten herrscht Angst vor weiteren Fahrverboten. In Hamburg und Stuttgart dürfen ältere Diesel-Fahrzeuge nicht mehr bestimmte Straßenzüge passieren.

Der Bund reagierte im Sinne der Autoindustrie, setzte im November den Grenzwert für Fahrverbote auf 50 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft hinauf. Durch den gesamten Diesel-Abgasskandal zieht sich die weiche Regierungslinie gegenüber den Herstellern. Und die Industrie sträubt sich weiterhin gegen die Nachrüstung von Fahrzeugen der Emissionsstufen Euro-4 und Euro-5. Die Bürger antworten auf ihre Weise: Mehr als 300.000 VW-Besitzer fordern Schadenersatz.