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Mit Algorithmen ins Wählerhirn

Von Martyna Czarnowska

Politik
© WZ-Collage: Irma Tulek; Quelle: adobe stock

Soziale Medien prägen die politische Kommunikation mit. Das heizt die Debatten um Gefahren für die Demokratie an.


Wien/Brüssel/Berlin. Demokratie, Öffentlichkeit für alle, Teilhabe - hurra! In den Anfangszeiten des Internets überschlugen sich die Jubelmeldungen, wurden die unendlich scheinenden Möglichkeiten im weltweiten Netz beschworen. Die technologische Revolution würde auch den Entwicklungen in Gesellschaft und Politik neue Dynamik verleihen, hieß es. Und all das werde die Demokratie lebendiger machen und stärken.

Doch dann schlichen sich erste Zweifel und Sorgen ein. Es folgten Ernüchterung und Kritik. Bis sie dann im Raum standen, die Fragen: Wie beeinflussen die Informationsflut und die Sozialen Medien unsere - auch politischen - Urteile? Was ist Nachricht, was Propaganda? Wird das Wahlverhalten manipuliert? Schließlich: Ist die Demokratie im und durch das Internet in Gefahr?

Die Verzückung ist jedenfalls verflogen, das Vertrauen in die neuen Technologien deutlich geschwunden. Die Entwicklung ist eine Wellenbewegung, wie Daniel Voelsen erklärt. An der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) befasst er sich unter anderem mit der Rolle des Digitalen in der internationalen Politik. "In den 1990er Jahren war die Euphorie zu spüren, dass das Internet die Demokratie beleben könnte - und ihren Höhepunkt erlebte sie in den sogenannten Twitter-Revolutionen", skizziert der Politikwissenschafter. Wobei bei den Umstürzen und Protesten in der arabischen Welt die Bedeutung Sozialer Medien dafür leicht überschätzt werden kann: Diese waren in der öffentlichen Wahrnehmung zwar sehr präsent, doch wird der gesellschaftliche Nährboden für die Unzufriedenheit der Menschen in dieser Betrachtung vernachlässigt.

Das sieht Voelsen für die gesamte Debatte über den Einfluss von Online-Plattformen so: "Wir reden oft über die Technik, aber die ist nur an der Oberfläche. Darunter liegen tiefer gehende gesellschaftliche Entwicklungen oder Konflikte, die immer schon über Medien ausgetragen wurden." Vielleicht hätten also Zeitungen und Radio zu ähnlichen Effekten geführt wie YouTube und Twitter.

Gezielt fehlinformiert

Aber schon allein wegen ihrer Reichweite rücken die Sozialen Netzwerke in den Fokus - und so wie sie manche auf der Welle der Euphorie zu Verstärkern der Demokratie verklärten, so sehen sie andere nun als deren Bedrohung. In die Zwischenzeit fallen die Enthüllungen Edward Snowdens über das Ausmaß der Überwachungsaktivitäten von Geheimdiensten, Berichte über Datenlecks und Hackerangriffe, vor allem an Russland gerichtete Vorwürfe massiver Einmischung in Wahlen, der Skandal um das Unternehmen Cambridge Analytica, das von Facebook gekaufte Daten für gezielt gestreute Fehlinformationen und damit den Versuch einer Wählerbeeinflussung nutzte. Hinzu kommen die Aktivitäten von Politikern selbst - angefangen von rechtspopulistischen Fraktionen, die das Internet für ihre Zwecke intensiver zu nutzen scheinen als Gruppierungen auf der linken Seite des politischen Spektrums, bis hin zu US-Präsident Donald Trump, für den im Wahlkampf Facebook und Twitter wichtige Kampagnenmittel waren.

Und wie es im Positiven war, ist es nun im Negativen: Die Technologie wird für die politischen Entwicklungen verantwortlich gemacht. Der Politologe Voelsen plädiert aber für Vorsicht bei solchen "einfachen kausalen Zuweisungen". Gleichzeitig weist er darauf hin, dass der Vorwurf der Kanalisierung und Polarisierung auch schon bei der Einführung des Privatfernsehens erhoben wurde.

Filterblase und Ausblendung

Doch auch Experten, die von schnellen Urteilen abraten, räumen ein, dass es Unterschiede zu klassischen Medien gibt. Da sind die größere Geschwindigkeit und der Anreiz zu spektakulären schnellen Nachrichten. Da ist eine breite Öffentlichkeit, die sich aber aus zahlreichen Filterblasen zusammensetzt, die untereinander kaum durchlässig sind: Stattdessen wird die eigene Meinung bestätigt und bestärkt, und was davon abweicht, kann weggeklickt werden - wenn die Selektion nicht bereits ein Algorithmus erledigt hat. Parallel dazu fällt die Gatekeeper-Funktion eines Redakteurs weg, der darüber entscheidet, welche Nachricht es ins Medium schafft. Die Meldungen werden also nicht kuratiert - und die Proportionen können sich umdrehen. Relevante Informationen finden kaum Beachtung, weniger bedeutende werden aufgeblasen.

Während einige Parteien dies nutzen, um ihre Sichtweise unter Ausblendung anderer Tatsachen zu präsentieren, warnen andere vor der Gefahr von Fake News - ob diese nun vom innenpolitischen Kontrahenten oder aus einem anderen Land kommen. Ein weiterer Aspekt ist der Einsatz von Bots. Mit Hilfe dieser Roboter können etwa Accounts so umfunktioniert werden, dass sie wie von realen Personen genutzt erscheinen. Von diesen Konten werden dann in hoher Frequenz automatisierte Botschaften versandt, die dann sogar eine Zeit lang eine gesamte Debatte dominieren können.

Verhaltenskodex für Konzerne

Bots waren denn auch schon Thema im deutschen Abgeordnetenhaus. Im Bundestagswahlkampf hatten sich die Parteien dazu verpflichtet, auf den Einsatz von Bots zu verzichten. Deren Regulierung wird nun vermehrt gefordert: Eine Möglichkeit wäre eine Kennzeichnungspflicht. In Österreich steht die Diskussion erst an ihrem Anfang.

Weiter ist sie da schon in EU-Institutionen - und geführt wird sie mit wachsender Nervosität, je näher die EU-Wahl im Mai rückt. So spürt auch die EU-Kommission den Druck, tätig zu werden. Noch im Vorjahr legte sie einen "Aktionsplan gegen Desinformation" vor. Ein Schnellwarnsystem soll dabei helfen, entsprechende Kampagnen zu erkennen; Online-Plattformen sollen einem Verhaltenskodex folgen, der freilich auf freiwilliger Basis unterzeichnet wird. Facebook, Google und andere sollen demnach politische Werbung kennzeichnen, gegen Bots und die Verbreitung von Fake News vorgehen, falsche Konten löschen.

Die Internet-Konzerne sollen darüber regelmäßig Bericht ablegen. Den ersten veröffentlichte die Kommission vor wenigen Tagen in Brüssel. Fazit: Es sei zwar schon einiges getan worden, es müsse aber mehr sein. Als Beispiel nannte die Behörde Facebook, das im Vorjahr bereits zahlreiche Accounts gelöscht hatte, die keinem realen Nutzer zugeordnet werden konnten. Aber wie das Unternehmen selbst einräumt, können noch drei bis vier Prozent der Konten falsch sein - in absoluten Zahlen wären das satte 80 bis 90 Millionen.

Mündige Nutzer

Hinter der Debatte stecken Befürchtungen der EU-Institutionen, dass kommende Urnengänge und das Wahlverhalten der Bürger immer massiver beeinflusst werden können - ob durch Manipulationsversuche aus Russland oder von europäischen Rechtspopulisten. Völlig aus der Luft gegriffen dürften die Sorgen nicht sein. "Soziale Medien verändern die politische Kommunikation, und das kann Einfluss auf das Wahlverhalten haben", sagt Laura Wiesböck, Soziologin an der Universität Wien. Und die Netzwerke bedienen "das Bedürfnis nach Eindeutigkeit", die nicht zuletzt auf Emotionen basiert: In einer immer unübersichtlicher werdenden Umgebung wird einfache Kategorisierung angeboten, die sich schnell beurteilen lässt: Gefällt mir, gefällt mir nicht.

Auch Wiesböck verweist auf das Phänomen der "Echokammern", in denen die Nutzer mit einer bestimmten Perspektive, einem einseitigen Weltbild konfrontiert sind. Lebendiger Austausch trete in den Hintergrund, die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen und zur Kompromissbildung schwinde - bis jede Form von Kritik diffamiert werde. In solch abgeschlossenen Räumen funktionieren Fake News und gezielte Propaganda gut.

Dabei sieht die Soziologin Desinformation selbst nicht als Gefahr für die Demokratie an. Gefährlich werde es, wenn Menschen Fake News übernehmen. Daher brauche es neue Nutzer-Kompetenzen, die anknüpfen an Fragen wie: Was ist ein kritischer Leser, was ist ein Diskurs, was sind seriöse Nachrichten? Begriffe müssen hinterfragt, das Bewusstsein etwa dafür geschärft werden, dass hinter den Netzwerken international agierende Konzerne und ihre finanziellen Interessen stecken. Ebenso das Bewusstsein dafür, dass Soziale Medien an den impulsiven Teil im Gehirn appellieren.

Wiesböck plädiert daher für einen "mündigen Umgang" mit Sozialen Medien. Denn "Mündigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für die Demokratie".