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Katalonien: Die juristische Nuss der politischen Frage

Von Konstanze Walther

Politik

Der Prozess gegen die Separatisten beginnt.


Madrid/Wien. Zwölf Protagonisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung stehen seit Dienstag vor dem Obersten Gericht in Madrid. Die Anklagen sind unterschiedlich - sowohl was die Tatbestände betrifft, als auch die vorgeschlagenen Haftstrafen.

Der ehemalige Vizepräsident Kataloniens, Oriol Junqueras, ist der ranghöchste katalanische Politiker, der vor Gericht steht - denn der damalige Regierungschef, der das Referendum zur Sezession angesetzt hatte, Carles Puigdemont, ist bekanntlich ins Ausland geflohen. Er gab am Dienstag eine Pressekonferenz in Berlin.

Nun ist Junqueras vor dem Gericht derjenige, der die meiste politische Verantwortung für die Ereignisse im Herbst 2017 trägt. Der spanische Generalstaatsanwalt lägt ihm Rebellion und Veruntreuung zur Last und verlangt eine Haftstrafe von 25 Jahren. Andere Regierungsmitglieder werden für beide Tatbestände mit "nur" 16 Jahren bedroht.

Die Anklage des Generalstaatsanwaltes ist allerdings nur eine von drei, die parallel am Obersten Gerichtshof gegen die Katalanen verhandelt werden. In für Spanien eigenen juristischen Figuren wird parallel eine Art "Verteidiger des Staates" aktiv. Diese Juristen lassen bei ihrer Anklage die Finger von der "Rebellion" und werfen den Angeklagten "nur" Aufruhr vor. Das macht zwei Unterschiede: Einerseits muss das Element der "Gewalt" bei bloßem Aufruhr nicht erfüllt sein (bei Rebellion schon). Und es macht einen Unterschied in der Länge der Haftstrafe. Für Junqueras werden hier nur zwölf Jahre gefordert.

Die dritte parallele Anklage wurde von der rechtspopulistischen Partei Vox eingebracht. Es ist die "Anklage des Volkes. Hier wird den Angeklagten nicht nur Rebellion, sondern auch die Bildung einer kriminellen Organisation vorgeworfen. Für Junqueras und die anderen Regierungsmitglieder soll es demnach satte 74 Jahre im Gefängnis geben.

Worum geht es? Die katalanische Regierung hat im Herbst 2017 ein Referendum angesetzt, um die Region über ihre Unabhängigkeit von Spanien abstimmen zu lassen. Das Referendum war zwar vom Obersten Gericht für illegal erklärt worden, doch die katalanischen Politiker ließen dennoch abstimmen. An jenem Tag, dem 1. Oktober, kam es zu schweren Tumulten in Katalonien. Die Frage, die sich die Richter stellen müssen, ist, ob diese Tumulte reichen, um das Element der "Gewalt" im Sinne der Rebellion zu konstituieren. Braucht man dafür Waffen? Reichen eingekesselte Beamte, die sich nicht trauen, das Gebäude zu verlassen?

Besonders blutig dürfte der Tag des Referendums ohnedies nicht gewesen sein - für beide Seiten. Laut der spanischen Botschaft wurden am Tag der Wahl nur drei Personen wegen Verletzungen der Tumulte im Krankenhaus behandelt - und davon waren zwei von der spanischen Polizei, der Guardia Civil. Der spanischen Polizei werden überzogene Reaktionen am Tag des Referendums vorgeworfen. Diese Polizisten müssen sich laut Diplomatenkreise ebenfalls vor Gericht verantworten.

Die Justiz und das Misstrauen

Kann man den Gerichten in Spanien denn Fairness zutrauen? Die Separatisten und deren Anwälte streuen seit geraumer Zeit die Saat des Misstrauens in die spanische Justiz.

Es wurde nach europäischen Beobachtern für das Verfahren verlangt, eine Siegerjustiz wird befürchtet, und das Mantra der "politischen Gefangenen" wird bei Veranstaltungen in Katalonien gebetsmühlenartig wiederholt.

Das führt naturgemäß zu Kopfschütteln in den Kreisen der spanischen Botschaft in Wien: "Es gibt keine politischen Gefangenen in Spanien. Es gibt nur Gefangene, die Politiker sind", heißt es da. Der Prozess sei mit Live-Übertragungen und Mediencenter wohl maximal transparent. Und bei einer Verurteilung bleibe den Katalanen noch immer der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der in Straßburg die Urteile überprüfen werde.

Auch weist man unter spanischen Diplomaten an dieser Stelle gerne darauf hin, dass Spanien - verglichen mit Ländern wie Italien oder Deutschland - dort deutlich weniger Verurteilungen wegen Menschenrechtsverletzungen erhalten habe. Und, so gibt ein Diplomat zu bedenken: Wieso ist Puigdemont eigentlich seinerzeit nach Belgien geflohen? Er hätte doch nach Frankreich fliehen können. Das wäre ja nur einmal kurz über eine Landesgrenze. Und Frankreich verfügt sogar über eine katalanische Region. Die Antwort, die sich der Diplomaten selbst gibt: Man könne sich in Frankreich nicht so sicher sein, dass die Gerichte ähnlich linde entschieden haben, wie schließlich in Deutschland, wo Puigdemont aufgegriffen wurde: Ein Regionalgericht in Deutschland, das keine sezessionswillige Region hat, hat bei Puigdemont das Element der Rebellion nicht erkennen können, der Politiker wurde im Zuge dessen nicht an Spanien ausgeliefert.

Die spanischen Diplomaten in Wien glauben übrigens nicht, dass es in der Katalonien-Frage einen Unterschied macht, ob eine sozialistische Regierung oder eine konservative in Madrid an der Macht sind. Beide würden die Integrität des spanischen Territoriums über alles stellen. Diesen Vergleich wird man vielleicht bald haben: Der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez muss eventuell Neuwahlen ausrufen, da die katalanischen Parteien ihm die Gefolgschaft bei dem Gesetz zum Budget verweigern.