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"Österreich muss auch zu seinen schwarzen Schafen stehen"

Von Siobhán Geets

Politik

Ehemalige IS-Anhänger sollten vor ein UN-Sondergericht gestellt werden, sagt der Völkerrechtsexperte Walter Obwexer.


"Wiener Zeitung": London hat einer IS-Anhängerin die Staatsbürgerschaft entzogen, sie ist nun staatenlos. Ist das möglich, weil die Briten die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterschrieben haben?

Walter Obwexer: Ja, das ist ein Grund. Großbritannien hat im Gegensatz zu Österreich das vierte Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention nicht ratifiziert und ist damit nicht verpflichtet, Staatsbürger wieder einreisen zu lassen. Allerdings ist es mit dem Völkerrecht nur schwer vereinbar, jemanden staatenlos werden zu lassen.

In Österreich könnte man IS-Rückkehrer nach Paragraf 278b des Strafgesetzbuchs anklagen: Wer Mitglied einer terroristischen Vereinigung wird, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen. Braucht es im Angesicht des Islamischen Staates nicht höhere Strafen?

Dieser Straftatbestand zielt auf die Mitgliedschaft oder Unterstützung einer Terrororganisation ab. Das trifft auf Frauen zu, die ihre kämpfenden Ehemänner vor Ort unterstützt haben. Da sind ein bis zehn Jahre Haft ausreichend. Für jene, die mitgekämpft haben, gibt es weitere Straftatbestände und höhere Strafen.

Wären diese Taten überhaupt beweisbar? Viele Kämpfer haben jahrelang in Syrien oder im Irak vergewaltigt und gemordet, die Opfer werden schwer auffindbar sein.

Vor diesem Dilemma stehen jene Staaten, die ihre Staatsbürger für ihre Taten zur Verantwortung ziehen wollen. Nach dem Territorialitätsprinzip können Menschen auch dort vor Gericht gestellt werden, wo sie die Taten begangen haben. In Syrien wären vielleicht Zeugen leichter zu finden, aber dort gibt es keine funktionierende Gerichtsbarkeit, insbesondere im kurdischen Gebiet Nordsyriens, in dem hunderte IS-Anhänger gefangen gehalten werden.

Die Kurden fordern ein internationales Gericht. Wie sehe das aus?

Es könnte ein UN-Sondergericht eingesetzt werden. Das wäre keine Außenstelle des Internationalen Strafgerichtshofs in Syrien, denn der ist nur für sogenannte Kernverbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen zuständig - was nicht bei allen gegeben ist. Es gibt IS-Sympathisanten, die nicht mitgekämpft haben, sondern etwa in der medizinischen Versorgung tätig waren.

Wie könnte so ein UN-Sondergericht zustande kommen?

Durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, die allerdings von jedem der fünf ständigen Mitglieder blockiert werden könnte.

Das klingt nicht sehr realistisch.

Rechtlich ist das möglich, politisch ist es sehr schwer zu realisieren. Wahrscheinlicher ist, dass ein Staat ein Veto einlegt, beispielsweise Russland. Außerdem ist das sehr teuer.

Zurück zur Option, IS-Anhänger in Europa vor Gericht zu stellen. Es besteht das Risiko, dass man ihnen nur die Mitgliedschaft beweisen kann. Kann der Strafrahmen verschärft werden, auch für zurückliegende Taten?

Nein. Nehmen wir an, Österreich verschärft das Strafrecht für die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation auf das Doppelte, also auf zwei bis 20 Jahre: Dann würde das nur für Straftaten gelten, die nach der Verschärfung begangen werden. Es gibt in der EU das Verbot der Rückwirkung von anzuwendenden Strafvorschriften.

Von 5000 EU-Bürgern, die sich dem IS angeschlossen haben, sind 1500 wieder zurück. Wie sind die Gerichtsverfahren bisher gelaufen?

Ich weiß nur, dass Strafverfahren laufen. In manchen Fällen gibt es konkrete Anschuldigungen von Geflohenen, die geltend machen, dass Personen Handlungen begangen haben, die über die IS-Mitgliedschaft hinausgehen.

Wie kann man Zeugen finden?

Das ist sicher schwer. Man könnte bekanntmachen, dass mutmaßliche IS-Kämpfer zurückgekehrt sind und ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Die Staatsanwaltschaft könnte Zeugen auffordern, sich zu melden.

Man müsste dann Fotos der mutmaßlichen Täter veröffentlichen.

Wahrscheinlich, ja. Wenn man diese Personen zurückholt, ist die Strafverfolgung sicher mit großen Schwierigkeiten verbunden.

Sind die Gerichte in der EU für solche Verfahren gewappnet? In Österreich wirken sie bereits überfordert.

Sie sind schon an der Grenze ihrer Belastbarkeit und würden zusätzlich belastet. Aber ich bin überzeugt, dass sie das stemmen könnten, auch in Österreich.

Die Verurteilung ehemaliger IS-Anhänger wird also nicht einfach. Was ziehen Sie vor: Verfahren in Europa oder die Einrichtung eines UN-Sondergerichts vor Ort?

Die Einrichtung eines UN-Sondergerichts wäre eine Lösung. Es ist zwar alles andere als sicher, dass man damit durchkommt, aber man sollte es jedenfalls versuchen. Das müsste rasch geschehen. Gelingt es nicht, müssen die europäischen Staaten zu ihrer Verantwortung stehen und ihre Staatsbürger zurücknehmen, um sie hier einem rechtsstaatlich korrekten Verfahren zu unterwerfen - mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten.

Laut Völkerrecht kann die Staatsbürgerschaft entzogen werden, wenn jemand in der Armee eines fremden Staates kämpft. Viele Menschen argumentieren damit, dass der IS aufgetreten ist wie ein Staat.

Das Völkerrecht sieht vor, dass die Staatsbürgerschaft nur aberkannt werden kann, wenn eine andere vorliegt oder erworben wird. Das ist etwa der Fall, wenn ein Österreicher den Militärdienst freiwillig für einen anderen Staat leistet. Der IS ist aber kein echter Staat, sondern eine Terrororganisation. Ein Staat kann Staatsbürger nicht an der Rückkehr hindern, indem er ihnen die Staatsbürgerschaft aberkennt.

Wir müssen sie also zurücknehmen, auch, wenn es wehtut. Immerhin sind das Menschen, die den Westen bekämpfen und schreckliches getan haben.

Ja. Die Familie Österreich muss auch zu ihren schwarzen Schafen stehen. Die grundlegenden Rechte der Staatsbürger sind eine Errungenschaft unseres hochentwickelten Rechtsstaates, den wir Gott sei Dank haben und der eben manchmal zu Ergebnissen führt, die viele in der Bevölkerung nicht verstehen. Die Alternative wäre, den Rechtsstaat herunterzufahren, das könnte auch andere Österreicher treffen. Das wäre ein gefährlicher Weg.

Walter Obwexer ist Professor für Europarecht, Völkerrecht und Internationale Beziehungen an die Universität Innsbruck.