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Nicht alles glänzt in Kopenhagen

Von Alexander Dworzak aus Kopenhagen

Politik
Die "Fahrradschlange" sorgte für Furore.
© Cycling Embassy of Denmark/Dissing+Weitling

Für Radfahrer gilt Dänemarks Hauptstadt als Vorbild, zwei neue Stadtquartiere können nicht daran anknüpfen.


Kopenhagen. Zwei Prozentpunkte Unterschied sorgen derzeit für Aufregung in Wien. Denn entgegen der Politik der rot-grünen Stadtregierung steigt die Zahl der Autofahrten. 2018 wurden 29 Prozent der Wege auf diese Weise zurückgelegt, im Jahr zuvor waren es nur 27 Prozent. In der Diskussion, warum sich die Bürger trotz des hervorragenden Öffi-Netzes so oft hinters Steuer setzen, ist eine andere Zahl untergegangen: Trotz intensiver Bemühungen - insbesondere des grünen Teils der Koalition - dümpelt Radfahren weiterhin bei sieben Prozent.

Ganz anders in Kopenhagen: Für knapp 30 Prozent aller Routen schwingen sich die Einwohner auf das Rad. Zählt man nur die Wege zu Arbeit, Schule oder Universität, sind es sogar mehr als 40 Prozent. Für derartige Zahlen ist weniger ökologische Romantik denn Pragmatismus verantwortlich: Kopenhagener kommen mit dem Drahtesel schlicht schneller voran - auch dank mehrerer "Radfahr-Autobahnen". Zum Pragmatismus gehört auch, dass die Radler den klassisch skandinavischen Bedingungen mit fünf Grad Außentemperatur und immer wieder einsetzendem Regen trotzen.

Das ist in den niederländischen Vorzeige-Radstädten Amsterdam und Utrecht nicht anders, und dennoch gelang es Kopenhagen, sich zum internationalen Vorbild zu stilisieren. Eine Beratungsfirma im Mobilitätsbereich rief den "Copenhagenize"-Index ins Leben - bei dem fast selbstredend die dänische Kapitale an erster Stelle liegt. Renommierte Medien wie der britische "Guardian" übernahmen im Redaktionsteil die Werbebotschaft zur "Kopenhagenisierung" der Städte.

Mäßig belebte Viertel

Auch im Kopenhagener Stadtteil Örestad sind die Radler omnipräsent - jedoch vor allem auf der Durchreise Richtung Zentrum. Anders als in den dicht bebauten, historisch gewachsenen Teilen der Stadt dominiert hier Weitläufigkeit. Durch die breiten Boulevards peitscht der Wind, belebte Einkaufsstraßen sind in dem Quartier südlich des Zentrums hingegen Mangelware. Es gibt preisgekrönte Gebäude wie das "Achterhaus", das in Form der Zahl errichtet ist. Aber es sind Solitäre, die sich nicht in das große Ganze einfügen.

Bewohnt ist Örestad dennoch, denn der Zuzug in die dänische Hauptstadt ist noch stärker als bei seinem österreichischen Pendant. Wiens Einwohnerzahl stieg von 2011 bis 2017 um zehn Prozent, in Kopenhagen waren es 14 Prozent. Rund 610.000 Menschen leben hier, in der Metropolregion sind es 1,9 Millionen. Dafür bluten - wie auch in Österreich - ländliche Regionen aus.

"Es gibt enormen Bedarf nach preiswertem Wohnen in Kopenhagen", sagt Liv Jörgensen von der Wohnungsgenossenschafts-Vereinigung BL beim Spaziergang durch Örestad. "Eine 90-m²-Wohnung kostet 670.000 Euro, und das ist nur der Durchschnittswert für die gesamte Stadt", ergänzt Architekturguide Bo Christiansen.

Liberalisierungen im Finanzsektor in den 1980ern führten zu einem starken Anstieg der Immobilienkredite, auch weil die Banken deren Fälligstellung aufschoben. Viele Dänen wollten mit Immobilien schnellen Profit machen, war doch der Gewinn aus dem Wiederverkauf steuerfrei. Die Wohnungspreise verdoppelten sich daher bis zur Finanzkrise 2008. Und gaben nach Platzen der Blase kurzfristig um bis zu 30 Prozent nach.

In Nordhavn dominieren teure Büros und Wohnungen.
© Dworzak

Hochverschuldete Haushalte

Das Tief ist längst Vergangenheit, seit 2012 haben sich Immobilien in Kopenhagen um 45 Prozent verteuert. Das liegt weniger an ausländischen Investoren, für die strenge Regeln beim Erwerb gelten, als an der Binnennachfrage. Der Wohnungs- und Hauskauf wird mit Steueranreizen angekurbelt, ebenso wie private Pensionsversicherungen, schreibt die EU-Kommission in einem Bericht. Resultat: In Dänemark beträgt die Verschuldung der Privathaushalte 173 Prozent des verfügbaren Einkommens; in Österreich sind es 48 Prozent.

Kopenhagens sozialdemokratischer Bürgermeister Frank Jensen will gegensteuern, 25 Prozent der Neubauten sollen Sozialwohnungen sein. "Das größte Problem sind die hohen Bodenpreise", erklärt Liv Jörgensen. Baugrund wird nicht nur mit dem Projekt in Örestad geschaffen. Entlang des Südhafens werden frühere Industriebrachen durch Wohn- und Bürogebäude ersetzt, auch im Nordhafen-Areal entsteht ein Stadtteil. In beiden Fällen handelt es sich jedoch nicht um Wohnraum für Geringverdiener und Mittelschicht. Nordhavn gehört der Gesellschaft By&Havn, an der die Stadt Kopenhagen 95 sowie die Zentralregierung fünf Prozent hält. Die Grundstücke werden blockweise an Investoren verkauft, mit den Erlösen wird die Infrastruktur ausgebaut, etwa die U-Bahn. Auch Genossenschaften müssen den Marktpreis bezahlen, für sie sind daher Bauplätze am Ufer unerschwinglich.

"Die Einwohner in Nordhavn sind in der Regel betuchte Pensionisten oder berufstätige Paare ohne Kinder", erzählt eine Passantin. Das Areal ist mäßig belebt wie Örestad. Wie im Viertel im Süden gibt es auch in Nordhavn Architektur- und Designperlen, etwa den Spielplatz auf dem Dach des Parkhauses.

Von dort blickt man auf das neue Fernheizwerk am Osthafen, dessen Schrägdach als Skipiste dient. Es ist ein Baustein auf dem Weg, dass Kopenhagen bis 2025 CO2-neutral ist. Ein weiterer ist das Ziel, den Autoverkehr zurückzudrängen. Aller Werbung um die Radfahrmetropole zum Trotz ist nämlich bis heute nichts populärer als das Auto, um von A nach B in Kopenhagen zu kommen. Öffis fristen im Vergleich zu Wien ein Schattendasein.

Nicht nur strömt dunkler Rauch aus dem Auspuff, auf dem Immobilienmarkt ziehen angesichts der enormen Preise dunkle Wolken. Die Danske Bank unkte gar im November: "Die Party am Wohnungsmarkt ist vorbei."

Redaktioneller Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung des Vereins für Wohnbauförderung.