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Ein Jamaika-Lüftchen weht durch Berlin

Von Alexander Dworzak

Politik

FDP-Chef Lindner heizt nach den Streitereien zwischen Schwarz-Rot die Debatte um ein Bündnis mit Union und Grünen an.


Berlin/Wien. Der Dachstuhl brennt zwar nicht lichterloh, aber es knirscht merkbar im deutschen Koalitionsgebälk. Erst rückte die SPD nach links, indem sie das Zurückdrehen jener Arbeitsmarkt- und Sozialreformen postulierte, die unter ihrem eigenen Kanzler Gerhard Schröder in den Nullerjahren angestoßen worden waren. Schlecht kam bei Regierungspartner CDU/CSU ebenfalls an, dass die Genossen bei der neuen Grundrente für Geringverdiener keine Bedürftigkeitsprüfung voraussetzen wollen. Die Konservativen revanchierten sich, indem sie unter anderem die Abschaffung des Solidaritätsbeitrags für alle fordern - und nicht, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, für 90 Prozent der Bürger.

Und so fragt sich die Berliner Politszene, wie Schwarz-Rot bis zur nächsten Bundestagswahl durchhalten will. Regulärer Wahltermin ist erst im Herbst 2021. Doch die SPD hat sich im Koalitionsvertrag eine "Überprüfung" der Arbeit zur Halbzeit der Periode festschreiben lassen, die Ende dieses Jahres schlagend würde.

Sozialdemokraten, die noch nie für die große Koalition in Berlin waren, gibt es zuhauf. Unter den Mitgliedern und Lokalfunktionären war die Skepsis von Beginn an wesentlich größer als bei den Bundestagsabgeordneten und im Parteivorstand. Nun verweist man auch dort genüsslich darauf, dass dank des Linkskurses der Abwärtstrend in den Umfragen endlich gestoppt sei und sich die SPD wieder ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 annähere. Damals kam sie auf das Allzeittief von 20,5 Prozent und sackte danach auf 15 Prozent ab. Nun sind es 16 bis 18 Prozent. Eine Position wiedergewonnener Stärke sieht dennoch anders aus.

Eine Konservative könnte aber der SPD einen Ausstiegsgrund liefern, nämlich Kanzlerin Angela Merkel höchstselbst. Sie kandidiert bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr. Sollte Merkel vorzeitig abtreten, könnte sich die SPD darauf berufen, dass der Koalitionsvertrag mit Merkel geschlossen wurde, nicht mit deren möglicher Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer.

"AKK" amtiert seit Dezember 2018 als CDU-Chefin und hätte bei einer Demission Merkels die Gelegenheit, mit einem Kanzlerbonus in die nächste Bundestagswahl zu gehen - sofern sie über eine Mehrheit verfügt.

Wenn sich die SPD verweigert, könnte es doch noch zu einer "Jamaika-Koalition" von CDU/CSU mit den Grünen und der FDP kommen. 2017 verließen die Liberalen den Verhandlungstisch, Parteichef Christian Lindner erklärte sich mit den Worten: "Lieber nicht regieren als schlecht regieren." An Lindner klebt seitdem das Image des Verhinderers.

Wozu wechseln?

Der FDP-Chef hat seine ablehnende Haltung mit Merkels langer Regierungszeit und festgefahrenen Strukturen begründet. Über Kramp-Karrenbauer äußert er sich nun in einem "Handelsblatt"-Interview auffallend positiv: "Mit Frau Kramp-Karrenbauer gibt es bei einigen Fragen auch eine größere Nähe, zum Beispiel in der Migrationspolitik." Die CDU-Chefin ließ im Februar ein "Werkstattgespräch" zu dem Thema abhalten, sie setzt sich seit längeren von Merkels Flüchtlingskurs im Sommer 2015 ab und zieht - anders als die Kanzlerin - eine Grenzschließung als letztes Mittel nicht in Betracht, sollte es erneut hunderttausende Asylsuchende binnen kurzer Zeit geben.

Die Grünen schielen unter dem Führungsduo Robert Habeck und Annalena Baerbock zwar wie die FDP auf eine Regierungsbeteiligung. Aber für die Öko-Partei machen Neuwahlen viel mehr Sinn als ein fliegender Wechsel, liegen sie doch derzeit bei bis zu 18 Prozent und damit doppelt so gut als bei der Wahl 2017.

Nicht ausgeräumt sind neben den inhaltlichen auch die emotionalen und habituellen Hürden zwischen den potenziellen Jamaika-Partner. Besonders gut zeigt sich das im Umgang mit dem Abgasskandal. Laut Lindner führten die Grünen einen "Kulturkampf gegen das Auto und den Diesel". CSU und Grüne wiederum sind bei den Koalitionsverhandlungen 2017 mehrfach aneinandergeraten. Nach der Landtagswahl in Bayern im vergangenen Jahr wählte die CSU dann auch die bürgerlich-konservativen Freien Wähler als Koalitionspartner, die Grünen mussten in Opposition bleiben. In drei anderen Bundesländern - Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein - bildet die CSU-Schwester CDU hingegen mit den Grünen die Landesregierung, in Schleswig-Holstein sogar gemeinsam mit der FDP. Doch dieses Modell scheint - noch - die Ausnahme zu bleiben.

In Berlin streitet sich derweil Schwarz-Rot, ob der Rüstungsexport-Stopp für Saudi-Arabien verlängert werden soll. Die CDU fordert auf Drängen von Frankreich und Großbritannien eine Aufweichung für Waffen, die in Deutschland in Kooperation mit den beiden Ländern hergestellt werden. Dagegen legt sich die SPD quer. Fortsetzung folgt.