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Ruf nach Renaissance

Von Martyna Czarnowska

Politik
Emmanuel Macron hat eine Vision für Europa. Doch nicht alle teilen seine Perspektive.
© reu/Gonzalo Fuentes

Mit einem kühnen Appell für einen Neubeginn in Europa wendet sich Frankreichs Präsident an die Bürger der EU.


Paris/Berlin/Brüssel. Er probiert es immer wieder. Mit einer Rede an der Universität Sorbonne, im Dialog mit seinen EU-Kollegen und seinen Landsleuten, in einem Beitrag in europäischen Zeitungen - Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron versucht, seine Ideen für Europa unters Volk und in die EU-Spitzenpolitik zu bringen. Die Adressaten seiner Appelle wechseln denn auch. Am Dienstag wandte sich Macron via Medien an die "Bürgerinnen und Bürger Europas". In mehreren Blättern warnte er vor nationalistischer Abgrenzung und forderte tiefgreifende Reformen für die Union - nicht mehr und nicht weniger als einen Neubeginn. Die Gemeinschaft sei nämlich "noch nie in so großer Gefahr" gewesen.

Als Gegenmittel für Abschottung und Spaltung schlägt der Präsident "drei Ambitionen" vor: Freiheit, Schutz und Fortschritt. Die demokratische Freiheit, seine Volksvertreter zu wählen, will er beispielsweise vor Cyberangriffen und Manipulationen von außen gewahrt sehen und plädiert für die Einrichtung einer EU-Agentur zum Schutz der Demokratie. Gestärkt müssten aber auch die Grenzen werden. Wer dem Schengen-Raum angehören will, in dem Reisen ohne Passkontrollen möglich ist, habe nicht nur Verantwortung zu tragen, sondern auch Solidarität zu zeigen. Kontrollen und eine gemeinsame Asylpolitik gingen dabei Hand in Hand.

Forderungen gibt es auch an die Wirtschaft. Die Wettbewerbs-, die Handelspolitik müssen reformiert werden. "Europa ist keine Macht zweiten Ranges", schreibt Macron. Unternehmen, die sich nicht an "unsere strategischen Interessen und unsere wesentlichen Werte" halten, sollten bestraft oder verboten werden. Steuern müssten in angemessener Höhe bezahlt, europäische Firmen in bestimmten Branchen bevorzugt werden. Außerdem seien eine soziale Grundsicherung und ein europaweiter Mindestlohn nötig.

Suche nach Verbündeten

Es sind kühne und ehrgeizige Vorschläge, die Macron mit einer weit ausholenden Geste präsentiert. Nicht alle sind neu. Und mit etlichen konnte sich der Franzose bisher nicht durchsetzen. Seine Forderungen nach einer verstärkten Zusammenarbeit bei der Verteidigung oder in der Eurozone, nach einer europäischen Asylbehörde oder Digitalsteuer sind zwar immer wieder freundlich kommentiert worden. Doch Taten ließ das Gremium der Staats- und Regierungschefs nicht folgen. Selbst der deutsch-französische Motor, dem Macron gern neuen Schwung verleihen möchte, stottert. So werden die Vorstellungen aus Paris in Berlin verwässert: Zur Finanzierung eines Budgets für den Euroraum wird in einem gemeinsamen Papier die Steuer auf Finanztransaktionen genannt - um die die Länder seit Jahren ohne Erfolg ringen.

Freundlich wurde auch der aktuelle Appell Macrons aufgenommen. EU-Ratspräsident Donald Tusk begrüßte ihn ebenso wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der von einem "wichtigen Beitrag zur europäischen Debatte" sprach. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz lobte den Ansatz, dass Europa "souverän und stark" sein sollte. Zusagen der Unterstützung sind dies freilich nicht.

Doch weiß Macron um die politischen Realitäten. "Die Chancen, sein Projekt auf der Ebene seiner Amtskollegen umzusetzen, sind nicht größer als nach seiner Sorbonne-Rede 2017", erklärt Ronja Kempin von der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Deswegen wendet sich Macron nun an die europäischen Bürger."

Gleichzeitig sei er auf der Suche nach Verbündeten unter den politischen Parteien, mit denen er für die EU-Wahl im Mai eine Allianz schmieden kann. Mit dem Appell ziele er auf die Linke in Europa ab, meint Kempin. Tatsächlich kamen aus den Reihen der Grünen und Sozialdemokraten im EU-Parlament prompt lobende Worte.

Dass Berlin aber Paris in keiner Weise entgegenkomme, findet die SWP-Expertin nicht. Die Annäherung findet jedoch eher im Hintergrund statt. "Was die Deutschen Macron verwehren, ist die große Politshow", analysiert Kempin. Das könnte nämlich kleinere EU-Mitglieder verunsichern. Radikale Maßnahmen, wie sie Paris vorschweben, lehne Berlin zugunsten kleinerer Reformschritte ab. Andernfalls könnten manche Mitglieder verloren gehen.