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"EU-Geld erhält Orbans System"

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Der frühere Parlamentarier der Regierungspartei, Akos Hadhazy, rechnet mit Ungarns Premier ab.


Einst ein begeisterter Politiker von Premier Viktor Orbans Partei Fidesz, ist Akos Hadhazy heute als parteiloser Abgeordneter ein erbitterter Kämpfer gegen die aus seiner Sicht von der nationalkonservativen Regierung Ungarns betriebene Klientelwirtschaft. Mit ihm sprach die "Wiener Zeitung" über den möglichen Rauswurf des Fidesz aus der europäischen Parteienfamilie EVP (Europäische Volkspartei), über den der Vorstand am Mittwoch beraten soll.

"Wiener Zeitung":Sollte die EVP Fidesz ausschließen?

Akos Hadhazy: Das ist jetzt völlig egal. Orban kümmert das nicht besonders. Ich würde anstelle der EVP die Mitgliedschaft nur suspendieren. Das wäre das Schlimmste für Orban. Dann wäre nämlich der Premier derjenige, der sagen müsste, dass er die Christdemokratie verlässt und in eine extremistischere Richtung geht. Die Entscheidung der EVP hätte Gewicht gehabt, wenn sie zwei Jahre früher gefallen wäre. Orban interessiert jetzt nur eins: Ob die EU-Fördermittel fließen oder nicht. Ich könnte unzählige Beispiele dafür nennen, wie Orban seine eigenen Leute aus EU-Mitteln bezahlt. Sein gefährliches politisches System wird mit EU-Geld aufrechterhalten.

Sollte Orban jetzt nicht ausgeschlossen werden - kann es sein, dass er nach der Europawahl erst recht die EVP verlässt, um sich einer der rechtsnationalen Fraktionen anzuschließen?

Es ist wichtig, zu verstehen, dass Ungarns Entwicklung jetzt stark dem russischen Weg ähnelt, seitdem Wladimir Putin die Führung übernommen und die Demokratie abgebaut hat. Es ähnelt auch Recep Tayyip Erdogans Weg in der Türkei. Dieser hat ja auch nicht zuerst seine Gegner ins Gefängnis geworfen, sondern ist schrittweise vorgegangen. Solange wir in der EU sind, kann Orban nicht bis zum Äußersten gehen. Wenn aber seine Mitstreiter die Wahl verlieren und wenn die EU-Förderungen ausbleiben, besteht die Gefahr, dass Orban versucht, das Land aus der Union zu führen. Wenn dann die Unzufriedenheit im Land wächst, wird er härtere Mittel anwenden müssen, um damit fertig zu werden.

In der EVP dominierte bisher die Meinung, dass Orban besser zu kontrollieren sei, wenn seine Partei dort bleibt.

Die Parallele scheint grob, aber so war es auch mit Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg. Da hieß es, man müsse reden und verhandeln. Immer mehr, aber noch nicht genügend Leute in Europa verstehen, dass Orban auf seinem Weg in Richtung Diktatur nicht einfach umkehren kann. Wenn er die Wahl verliert, landet er im Gefängnis.

Sie haben eine Unterschriftenaktion für eine Teilnahme Ungarns an der EU-Staatsanwaltschaft gestartet, die ab 2020 insbesondere in Betrugsfällen zu Lasten des EU-Haushalts ermitteln soll. Wie ist Ihre Bilanz?

Wir haben im vergangenen Herbst damit begonnen und 470.000 Unterschriften gesammelt. Das ist ein sehr großer Erfolg, zumal wir nur unbezahlte Helfer haben. Ein Referendum ist auf dieser Basis laut Urteil des Verfassungsgerichts zwar nicht möglich. Aber die vielen Unterschriften und Brüssel könnten gemeinsam Druck auslösen, sodass eine Beteiligung Ungarns an der EU-Staatsanwaltschaft erreichbar ist. Inzwischen schließt Justizminister Laszlo Trocsanyi diese Teilnahme nicht mehr so kategorisch aus wie früher. Sollte es dazu kommen, könnte Orban nicht mehr so viel EU-Geld an seine Klientel verteilen.

Was hat Sie 2004 zum Eintritt in den Fidesz bewogen?

Orbans erste Regierungszeit zwischen 1998 und 2002 war meiner Meinung nach die beste seit der Wende. Es war eine gemäßigt konservative, ausgesprochen progressive Regierung. Es ist ihr gelungen, die Staatsverschuldung zu verringern, wirtschaftliche Entwicklung anzustoßen. Das Kabinett hat darauf geachtet, die kleinen und mittleren Betriebe zu stärken - und zugleich die internationalen Investoren. Es gab keine extremistischen Äußerungen.

Orban hat aber doch damals auch die Ultra-Rechte benutzt, wie etwa die Kleinlandwirtepartei.

Er hat die Kleinlandwirte, seine Koalitionspartner, letztlich ausgeschaltet. Richtig erschrocken über Orban bin ich am Tag nach der Wahl 2010, als ich die Liste seiner Minister und die neue Struktur der Regierung sah. Denn da waren völlig andere Namen vorgesehen als jene, die wir intern vorher für ausgemacht gehalten hatten. Viele bis dahin Unbekannte waren dabei. Sein damaliger Justizminister Tibor Navracsics hatte das damit erklärt, dass Orban keine starken Ressortleiter will, die Forderungen stellen - weil ihn genau das 1998-2002 gestört habe. Deswegen hat er große Ministerien geschaffen und diese mit politischen Leichtgewichten besetzt. Damit war klar, dass er alles allein entscheiden will.