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Orban zieht zurück

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Europäische Volkspartei setzt die Mitgliedschaft von Fidesz aus. Ungarns Premier macht die Drohung eines EVP-Austritts nicht wahr.


Brüssel/Budapest. Ein gesichtswahrender Kompromiss für beide Seiten war nicht möglich. So viel stand fest, als der Vorstand der Europäischen Volkspartei (EVP) am Mittwoch zusammentraf, um zu diskutieren, ob die ungarische Regierungspartei Fidesz eine Zukunft in der christdemokratischen Parteienfamilie hat. Zu weit hatten sich die Positionen von Manfred Weber und Viktor Orban in den Stunden davor entfernt.

Der Bayer möchte als EVP-Spitzenkandidat die Europawahl Ende Mai gewinnen und dann zum Kommissionspräsidenten aufsteigen. Dabei ist ihm der ungarische Premierminister und Fidesz-Chef ein Klotz am Bein, seitdem Orban mit einer Plakatkampagne den amtierenden Kommissionschef Jean-Claude Juncker - ein EVP-Mitglied - und Investor George Soros bezichtigt hatte, diese würden illegale Migration fördern. 13 EVP-Parteien aus neun Ländern brachten daraufhin einen Antrag ein, in dem Fidesz’ Rauswurf gefordert wurde.

Ein Kompromiss schien in Griffweite, als die mit Abstand wichtigste Partei in der EVP, die deutsche CDU, zwar nicht für einen Ausschluss, jedoch für eine Suspendierung von Fidesz plädierte: "Solange Fidesz das Vertrauen nicht vollständig wiederherstellt, kann es nicht bei einer normalen Vollmitgliedschaft bleiben", sagte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwoch.

190 zu drei gegen Orban

Ihr Vorstoß war mit CSU-Politiker Weber abgestimmt. Er stellte drei Bedingungen an Orban: ein Ende der Plakatserie, eine Entschuldigung für diese und dass die Zukunft der mit Geldern von Soros’ Stiftung betriebenen Zentraleuropäischen Universität (CEU) in Budapest gesichert ist. Erfüllt hat Orban lediglich die erste der drei Bedingungen. Dennoch sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), seinen Informationen nach habe Orban alle drei Voraussetzungen akzeptiert. Weber dürfte das wohl anders als Kurz gesehen haben.

Anscheinend gab es in der EVP kein klares Meinungsbild über den Ausschluss und die Konservativen wollten Zeit gewinnen. Fidesz ist wichtig, fährt die Partei doch sicher mehr als zehn Mandate bei der Europawahl ein. Was für die Wahl des nächsten Kommissionspräsidenten bedeutend ist, der vom EU-Parlament bestätigt werden muss. Noch wichtiger ist Fidesz symbolpolitisch. Orban soll nicht zu einer neu zu gründenden rechtspopulistische Fraktion abwandern und zum Märtyrer gemacht werden, lautete das Kalkül insbesondere bei der ÖVP und den Schwesterparteien CDU/CSU. Bisher hatten diese "Orban-Versteher" die autoritäre Wende, die Korruption und die Günstlingswirtschaft in Ungarn größtenteils durchgehen lassen.

Orban ging nicht auf das Angebot Webers ein, sondern in seinem Poker "all-in". Er schickte nach den Statements aus Österreich und Deutschland seinen Stabschef Gergely Gulyas vor. Der richtete aus, Fidesz werde keine Suspendierung akzeptieren. Die Partei habe in den vergangenen Wochen alles im Interesse eines Kompromisses unternommen, habe die von Weber gestellten Bedingungen erfüllt.

Unterstützung für Weber

Parallel dazu zeigte der Fidesz-nahe Politologe Zoltan Kiszelly in der regierungsfreundlichen Zeitung "Magyar Nemzet" einen möglichen künftigen Weg auf: "Es gibt auch ein Leben außerhalb der EVP, denn mit der Schwächung der Achse Budapest-Wien-München und der Stärkung der Linie Warschau-Budapest-Rom könnten sich für Fidesz neue Möglichkeiten eröffnen." Kiszelly drohte damit unverhohlen, Fidesz könnte ein Bündnis mit der polnischen PiS und auch der italienischen Lega eingehen.

Eine erneute Abzweigung Richtung Wien wäre ganz im Sinne der FPÖ, die seit Wochen um Fidesz’ Gunst wirbt. "Mein Angebot steht, ich schätze ihn", sagte Vizekanzler Heinz-Christian Strache Richtung Orban.

Der Premier spielte sein Blatt persönlich beim EVP-Vorstandstreffen aus. Wenn der Vorschlag Webers sich nicht ändere, "werden wir das nicht akzeptieren", sagte Orban vor Beginn der Sitzung siegesgewiss. Es folgte eine bitte Niederlage: 190 Delegierte stimmten für das sofortige Einfrieren der Fidesz-Mitgliedschaft, nur drei dagegen.

Orban sah dies kommen. Bereits vor dem Votum wurde auf seinen Wunsch eine Formulierung aufgesetzt, wonach der EVP-Vorstand und Fidesz die Aussetzung der Mitgliedschaft "gemeinsam" vorschlagen. Anstatt die Flucht Richtung Warschau und Rom anzutreten, sagte Orban: "Die EVP hat eine gute Entscheidung getroffen, weil sie die Einheit bewahrt hat."

Der Premier nimmt in Kauf, dass er bereits am Donnerstag nicht beim EVP-Spitzentreffen vor dem EU-Gipfel anwesend sein darf. Dass Fidesz auf unbestimmte Zeit das Stimmrecht in der EVP verliert und keine Kandidaten für Posten vorschlagen darf. Wie lange dieser Status anhält, hängt an einem "Weisenrat", den der ehemalige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy anführt. Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und der frühere EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU) komplettieren das Gremium.

Weber setzte sich also vorerst auf ganzer Linie durch. Orban erklärte sogar, dass Fidesz weiterhin die Kandidatur des CSU-Politikers für den Kommissionspräsidenten unterstützen werde.

Nicht das letzte Wort

Anscheinend ist Orban zu dem vorläufigen Schluss gekommen, dass ein Bruch mit der Europäischen Volkspartei auch für ihn allzu große Risiken birgt. Denn selbst dort wurden zuletzt zusätzliche Bedingungen an Fidesz formuliert, bei denen es um die Behandlung von NGOs, den Kampf gegen Korruption und den Missbrauch von EU-Geldern ging.

Außerhalb der konservativen Parteienfamilie dürfte das kleptokratische Gebaren im engsten Kreis um den Premier noch stärker unter die Lupe genommen werden. So hatte die EU-Behörde zur Betrugsbekämpfung, Olaf, 2018 "ernsthafte Unregelmäßigkeiten" und "Interessenkonflikte" bei der Vergabe eines Projekts zur Modernisierung der Beleuchtung von Ungarns Städten und Gemeinden aufgedeckt. Das nutznießende Unternehmen gehörte Orbans Schwiegersohn Istvan Tiborcz zur Hälfte. Die ungarische Polizei stellte jedoch die Korruptionsermittlungen ein.

Dass Orban nun auf längere Sicht in der EVP klein bei gibt, ist aber noch nicht gesagt. Im Gegensatz zu den Spitzen von PiS und Lega ist er kein Ideologe, sondern ein zynischer Pragmatiker. Wer den größten Vorteil bringt, hat Orbans Gunst.