Kiew. Es war ein Ergebnis, das sich in dieser Deutlichkeit wohl nur wenige erwartet hatten: Mit über 30 Prozent der Stimmen verwies der Kabarettist Wolodymyr Selenskyj Amtsinhaber Petro Poroschenko, bei den ukrainischen Präsidentenwahlen auf den zweiten Platz. Der Staatschef kam nur auf etwa 16 Prozent. Julia Timoschenko, die monatelang die Umfragen angeführt hatte, scheiterte wieder einmal bei dem Versuch, die erste weibliche Präsidentin der Ukraine zu werden: Nur magere 13 Prozent der Wähler entschieden sich für die ehemalige Premierministerin. Diese beanspruchte am Wahltag Platz zwei für sich und sprach ebenso wie der Stab Selenskiys von zahlreichen Unregelmäßigkeiten bei dem Urnengang, von Manipulationsversuchen oder Stimmenkauf zugunsten Poroschenkos.

Sollte es all das wirklich gegeben haben, hat es jedenfalls nicht allzu viel genutzt: Selenskyj, das politisch vollkommen unbeschriebene Blatt, geht mit einem so großen Vorsprung in die Stichwahl, dass sich nur wenige Beobachter vorstellen können, dass Poroschenko das Ruder noch einmal herumreißen kann. So richtig punkten konnte Poroschenko nur im westukrainischen Galizien, das als Hochburg der Nationalisten gilt - in den Regionen Lemberg und Ternopil landete der Präsident auf dem ersten Platz. In den meisten anderen Gegenden räumte Selenskyj ab, die Regionen an der Grenze zu den Separatistengebieten entschieden sich gar für den prorussischen Kandidaten Juri Bojko.
Poroschenko wirft mit Schmutz
Der beeilte sich noch am Wahlabend, seine Anhänger - immerhin stolze 11 Prozent - in der Stichwahl auf eine Wahl Selenskyjs einzuschwören. Der ist für russischsprachige Wähler kein so rotes Tuch wie der nationalpatriotisch orientierte Poroschenko.
Der Präsident gab sich am Wahlabend trotz des mageren Ergebnisses siegessicher: "Wir werden sicher gewinnen", rief ein optimistischer Poroschenko seinen Anhängern zu. "Wir haben das russische Szenario gestoppt und die Ukrainer werden dieses Szenario im zweiten Wahldurchgang verhindern", rückte der Präsident seinen Konkurrenten Selenskyj in die Nähe des Kremls. Leicht wird ein Sieg im zweiten Wahlgang für Poroschenko aber mit Sicherheit nicht. In einer Umfrage eines Kiewer Soziologieinstituts sagten 39 Prozent der Befragten, sie würden in der Stichwahl Selenskyj die Stimme geben, nur 18 Prozent entschieden sich für den amtierenden Präsidenten, 20 Prozent zeigten sich unentschlossen und 23 Prozent gaben an, nicht zur Wahl gehen zu wollen.
Poroschenkos Problem ist, dass er Spitzenwerte bei der Frage "Wen würden Sie auf gar keinen Fall wählen?" erreicht. Seine Korruptionsaffären haben viele Wähler und auch Politikerkollegen frustriert. Selbst Anatoli Hryzenko, ein proeuropäischer Kandidat, der rund sieben Prozent der Stimmen erreichte und Poroschenko eigentlich ideologisch nahestehen müsste, sprach sich am Wahlabend gegen den Präsidenten aus: "Ich persönlich will nicht, dass noch fünf Jahre Betrug und Plünderung weitergehen. Deshalb werde ich unter keinen Umständen Petro Poroschenko unterstützen oder für ihn stimmen." Während Poroschenko mit der Parole "Ich oder Putin" nicht sehr erfolgreich war, könnte er im Endspurt noch mit seiner Erfahrung als Staatschef gegen den Neuling punkten - etwa in einer TV-Debatte.