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"Wer zockt, kann auch verlieren"

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Politik

In Berlin will ein Volksbegehren, dass private Unternehmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, enteignet werden.


Berlin. Mitten auf der Karl-Marx-Straße ist ein Matratzenlager. Zwei Menschen leben hier im Berliner Bezirk Neukölln. Es stinkt nach Urin. Die Obdachlosen haben sich vor dem Eingang eines ehemaligen C&A eingerichtet mit Decken und Plastikbeuteln. Es ist wuselig hier. Gegenüber wird bei Rewe und DM eingekauft und bei H&M und Tk-Maxx geshoppt. Ein paar Meter weiter gibt es das "Schnäppchencenter", in der nächsten Seitenstraße das "Prachtwerk", ein nicht nur bei Hipstern - und, wie die "Zeit" recherchierte, von Evangelikalen geführter - beliebter Veranstaltungsort. Neben dem Matratzenlager befinden sich einen An- und Verkauf von Goldwaren, eine Apotheke, ein Sportschuhgeschäft.

In Nord-Neukölln ist es dreckig und laut. Auf den Gehsteigen werden alte Kühlschränke, Fernseher, Regale und Matratzen abgestellt. Vergangene Woche durchsuchten die Behörden wieder einmal Shisha-Bars, Juweliere und Reisebüros. Ein Polizeiauto reihte sich an das nächste, dutzende Beamte waren im Einsatz. Der Staat wollte gegenüber den Clans medienwirksam Präsenz zeigen.

300.000 Personen sind binnen zehn Jahren zugezogen

Vor wenigen Jahren noch war es nicht schwer, hier eine Wohnung zu finden. Als andere Bezirke zu teuer geworden waren, eröffneten junge Leute in Nord-Neukölln Kneipen, Cafés, Secondhand-Läden und Galerien. Die Gegend wurde zunehmend attraktiv. Zudem liegt Nord-Neukölln zentrumsnah und ist auch deshalb gefragt: Aus der ganzen Welt kommen Menschen nach Berlin und die wenigsten ziehen gern in ein Hochhaus-Viertel weit entfernt vom Stadtleben. In den vergangenen zehn Jahren sind 300.000 Menschen zugezogen, mittlerweile leben hier 3,7 Millionen. Mieterinitiativen sehen aber vor allem einen Grund für die steigenden Wohnungspreise: Investoren, die auf Rendite setzen.

"Wir finden einfach nichts. Ich müsste 1000 Euro mehr verdienen und meine Freundin auch", sagt ein freier Journalist, der vor kurzem Vater geworden ist. Eigentlich würde er mit seiner Familie gern in eine größere Wohnung ziehen. Arm sind sie nicht. Aber eben auch nicht betucht genug, um sich bei den derzeitigen Mietpreisen ein Zimmer mehr in Neukölln leisten zu können oder überhaupt von einer Hausverwaltung als Mieter in Betracht gezogen zu werden. Und eine Bekannte sagt: "Bei uns im Haus wird eine 120-Quadratmeter-Wohnung jetzt für 2000 Euro ohne Heiz- und Nebenkosten angeboten."

Wer in Berlin eine Wohnung neu vermietet, darf dafür eigentlich maximal zehn Prozent mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete verlangen - eigentlich, denn eine Möglichkeit, diese Regelung zu umschiffen, ist eine sogenannte "umfassende Modernisierung". Dann greift die vom Bund beschlossene Mietpreisbremse nicht mehr. Umfassend bedeutet, die Kosten entsprechen zumindest einem Drittel eines vergleichbaren Neubaus. "Auch abgesehen davon ist es relativ einfach, die Mietpreisbremse auszuhebeln", sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Das Land Berlin habe zwar einen Antrag zur gesetzlichen Verbesserung des Mietrechts in den Bundesrat - die Länderkammer - eingebracht. Die Chance, dass der Antrag angenommen wird, stehe allerdings schlecht, sagt Wild.

Als Hauptfeind gilt Deutsche Wohnen

In den Randbezirken liegt das Ausgangsniveau freilich tiefer. "Die Mieten steigen aber auch in Spandau oder Marzahn-Hellersorf stark, wo es keine große Kulturszene gibt. Strukturelle Änderungen sind für ganz Berlin nötig", sagt Johannes Luczak, der für die Organisatoren der Demonstration "Gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn" spricht, die am Samstag stattfindet.

Am gleichen Tag startet die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren "Deutsche Wohnen & Co enteignen". Das börsennotierte Unternehmen - 1998 von der Deutschen Bank gegründet - ist mit mehr als 110.000 Wohnungen Berlins größter Privatvermieter und vermietet deutschlandweit rund 160.000 Wohnungen und Gewerbeeinheiten. Steigende Mieteinnahmen vor allem in der Hauptstadt sorgten dafür, dass der operative Gewinn 2018 gegenüber dem Jahr davor um elf Prozent stieg, auf 480 Millionen Euro. Kümmern würde sich Deutsche Wohnen allein um das Wohl der Aktionäre, sagt Initiator Rouzbeh Taheri. "Mit solchen Konzernen über soziale Wohnungspolitik zu reden, hat keinen Sinn."

Der Plan von Taheri und etlichen weiteren Mieterinitiativen: Private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, sollen enteignet, ihre Bestände Gemeineigentum werden. Entschädigungen gäbe es "deutlich unter Marktwert", da man "natürlich keinen Spekulationswert finanzieren will". Bund oder Länder könnten entsprechende Gesetzte verabschieden. Laut Verfassung ist das möglich. Artikel 15 besagt, dass "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden können". Passiert ist das bisher noch nicht.

Hoch verschuldetes Berlin müsste Milliarden zahlen

Betroffen wären mindestens 200.000 der zwei Millionen Wohnungen in Berlin. Wem genau die Vergesellschaftung zugutekommen würde, ist offen. Ebenso unklar ist, wie hoch die Entschädigungszahlungen wären. Die Initiatoren sprechen von sieben bis 13 Milliarden Euro. Berlins Bürgermeister rechnet mit weit mehr. Die Stadt ist zurzeit mit 57,6 Milliarden Euro verschuldet. Es wäre dennoch leistbar, sagt Taheri.

Die rot-rot-grüne Berliner Landesregierung ist geteilter Meinung: Die Linkspartei unterstützt das Vorhaben, von den Grünen kommen positive Signale, die SPD ist uneins. Der Immobilienverband warnt, Enteignungen würden nicht in die freie und soziale Marktwirtschaft passen. Die Berliner CDU sieht die Initiative kritisch, auch die Liberalen setzen in erster Linie auf "bauen, bauen, bauen". Das ist jedenfalls in Neukölln schwierig: Es gibt kaum noch Bebauungsflächen.

"Wir wollen ein Zeichen setzen gegenüber sogenannten Investoren: Wer zockt, kann auch verlieren", sagt Taheri. In Nord-Neukölln ist die Unterstützung groß. Auf Haustüren kleben Demo-Plakate. Kürzlich gab der frisch gegründete "Mieterchor" beim "Ersten Kreuzköllner Rudelsingen" an der Grenze von Neukölln und Kreuzberg sein Debüt. "Demo und Volksbegehren haben hoffentlich einen dämpfenden Effekt", sagt ein Neuköllner. "Ich möchte hier nicht wegziehen müssen."

Billiges Geld, hohe Immobiliennachfrage

(red) Das Ende des billigen Geldes ist noch nicht gekommen. Erst Ende 2020 werde die Europäische Zentralbank den Leitzins für die Eurozone erhöhen, wenn auch nur leicht von null auf 0,25 Prozent, meinen führende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute in einer gemeinsamen Prognose. Weil viele Formen der Geldanlage seit der Krise 2008 unattraktiv geworden sind, werden Milliarden in den Immobilienmarkt gepumpt: Eigennutzer nehmen die Chance auf günstige Kredite wahr, Anleger spekulieren auf Wertzuwachs der Immobilie. Gepaart mit dem Zuzug in die Städte und den gestiegenen Baukosten galoppieren die Preise davon.

Davon sind in Deutschland zuallererst die Städte betroffen: In den sieben größten, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, München, Köln und Stuttgart sind neu vermietete Wohnungen jeweils um rund 50 Prozent teurer als 2010. Mit Abstand teuerstes Pflaster ist München, wo die durchschnittlichen Kaufpreise 2018 bei 7500 Euro pro Quadratmeter liegen; plus 8,7 Prozent gegenüber 2017. Aufgrund des Brexit und der Verlagerung von Arbeitsplätzen aus London legten die Preise in Frankfurt noch stärker zu, um mehr als zehn Prozent binnen eines Jahres.

Die Deutsche Bundesbank konstatiert, die Preise für Wohnimmobilien lägen in den Großstädten "weiterhin deutlich über dem Niveau, das durch die längerfristigen wirtschaftlichen und demografischen Einflussfaktoren gerechtfertigt erscheint" und sieht um 15 bis 30 Prozent zu hohe Kaufpreise in den Großstädten.

Viele Interessenten weichen daher auf Speckgürtel, Kleinstädte und ländliche Regionen aus. Dadurch stieg 2018 in mehr als 90 Prozent der 401 Landkreise und kreisfreien Städte der durchschnittliche Quadratmeter-Preis.