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Zu Besuch bei den Vox-Wählern

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

In Spanien hatten die Rechtspopulisten nichts zu melden. Bei den Wahlen am Sonntag könnte Vox plötzlich viertstärkste Partei und sogar zum "Königsmacher" werden. Wie kommt das? Ein Lokalaugenschein in Andalusien.


Madrid/Sevilla. Hier, in Andalusien, zeigt Germán Maldonado Rubio stolz seine beiden Armbänder. Das eine imitiert die spanische Nationalflagge. Beim anderen handelt es sich um ein grünes Gummi-Armband der neuen rechtspopulistischen Vox-Partei, auf dem "España Lo Primero" ("Spanien zuerst") steht.

Wie der Slogan ist auch das Wahlprogramm der erst vor fünf Jahren gegründeten Rechtspartei stark ans "America First" von Donald Trump angelehnt. Wie der US-Präsident fordert auch Vox-Gründer Santiago Abascal die sofortige Abschiebung illegaler Einwanderer. Er möchte sogar eine Mauer in den spanischen Nordafrika-Exklaven Ceuta und Melilla zu Marokko hochzuziehen.

Damit spricht Vox immer mehr Spanier an. Vor allem im strukturschwachen Andalusien im Süden des Landes, wo die Arbeitslosenquote mit 21 Prozent besonders hoch ist und der Migrationsdruck stetig steigt, seitdem sich die Flüchtlingsströme durch die Schließung der Balkan-Route zur Meerenge von Gibraltar nach Andalusien verlagert haben. "Ich habe nichts gegen Migranten. Aber die Einwanderung muss geregelt und reguliert werden. Es werden einfach zu viele", meint Germán Maldonado.

Für ihn ist die Zuwanderung aber nicht der Hauptgrund, weswegen er am kommenden Sonntag bei den spanischen Parlamentswahlen die Rechtspopulisten wählt.

Als selbständiger Kleinunternehmer fühlt sich Germán von den beiden großen Volksparteien im Stich gelassen - sowohl von den derzeit regierenden Sozialisten (PSOE) als auch dem konservativen Partido Popular (PP), der davor lange an der Macht war.

Germán, 43-jähriger Maurer, führt ein kleines Bauunternehmen in El Ejido, einem Küstenstädtchen mit 85.000 Einwohnern in der andalusischen Provinz Almería. Über Jahre blühte hier der Immobilienmarkt, von dem Germán mitprofitierte. Viele Ausländer bauten sich Häuser an der Mittelmeerküste. Die Region gilt als Gemüsegarten Spaniens. Kilometerweit breiten sich um El Ejido herum die Treibhäuser aus.

"Als die Immobilienblase platzte und die Wirtschaftskrise einsetzte, kam uns hier niemand zur Hilfe - weder die Sozialisten noch die Konservativen."

Von Vox verspricht er sich nun mehr Unterstützung. "Bei den Vox-Repräsentanten habe ich das Gefühl, sie kommen nicht nur hierher, um von sich ein Foto für die Zeitungen machen zu lassen. Sie haben viele Ideen, um vor allem uns Selbständige in der Provinz zu unterstützten", meint der Kleinunternehmer und nippt an seinem Café con Leche.

Eigentlich wählte Germán immer die konservative Volkspartei (PP). "Ich bin aber zutiefst enttäuscht von der Partei." Nicht nur wegen der zahlreichen Korruptionsskandale. Auch wegen der Halbherzigkeit, mit welcher der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy die Einheit Spaniens gegen die katalanischen Separatisten verteidigte.

Auch war ihm der PP nicht hart genug bei der Verteidigung der für Germán wichtigen Werte wie Monarchie und Religion. "Die Sozialisten hatten dafür gesorgt, dass in den Schulklassen keine Kreuze und Bilder des Königs mehr hängen. Aber die Konservativen haben die Maßnahme auch nicht aufgehoben, als sie wieder an die Macht kamen", ärgert sich der tiefgläubige Familienvater. Ihm gefällt, wie sich die Rechtspopulisten für "spanische Werte" einsetzen. Auch er ist dafür, Abtreibungen wieder strafbar und die Homo-Ehe rückgängig zu machen und auch den Stierkampf als spanisches Kulturgut unter Schutz stellen zu lassen.

"Ich habe das Zwei-Parteien-System satt"

"Vor allem aber habe ich das Zwei-Parteien-System in Spanien satt, in dem sich Konservative und Sozialisten stets an der Macht abwechselten. Das ist nicht gut für eine Demokratie", versichert Germán und zündet sich eine Zigarette mit seinem Spanien-Feuerzeug an. Gerade in Andalusien habe das zu viel Korruption, Misswirtschaft und Machtmissbrauch geführt.

Nun will er Vox eine Chance geben. Mit der Idee steht er bei weitem nicht alleine. Bei den vergangenen Regionalwahlen in Andalusien Anfang Dezember erhielt Vox aus dem Stand 30 Prozent der Stimmen in El Ejido und zog mit 12 von 109 Sitzen erstmals in ein Regionalparlament in Spanien ein. Nirgendwo wächst die rechtspopulistische Partei so stark wie in der andalusischen Provinz Almería.

Bei den Parlamentswahlen dürften die Rechten nun aus dem Stand 11 bis 15 Prozent der Stimmen erhalten und könnten damit eventuell die linkspopulistische Podemos-Bewegung als viertstärkste Fraktion in Madrid ablösen. Mehr noch: Da alle Umfragen auf ein Patt zwischen dem linken und dem konservativen Block hindeuten, könnten die Rechtsextremen sogar zu "Königsmachern" werden. Wie bereits Mitte Jänner in Andalusien, wo sie die Regierungskoalition aus Konservativen und den konservativ-liberalen Ciudadanos unterstützten und damit nach 36 Jahren das Ende der sozialistischen Vormacht sorgten.

Auch Oti Peña will am Sonntag für Vox stimmen. Die 51-jährige Hotelfachfrau lebt und arbeitet in Roquetas de Mar, einem touristischen Küstenort rund eine halbe Autostunde von El Ejido entfernt. Für sie spielen vor allem zwei Gründe eine Rolle, um die neue Rechtsformation zu wählen - der Katalonien-Konflikt und die mit der illegalen Migration steigende Unsicherheit. "Im Hotel arbeite ich mit Menschen aus verschiedenen Ländern zusammen. Wir brauchen Migranten, auch hier in der Provinz Almería. Migration bereichert. Aber nicht die illegale", versichert die Spanierin.

Die Migrationspolitik der sozialistischen und konservativen Regierungen mit zu laxen Grenzkontrollen, kostenloser Gesundheitsbehandlung für alle Illegale und einer Seenotrettung, deren Handynummer die Migranten schon anrufen, wenn sie mit ihren Booten von der marokkanischen Küsten absetzen, habe sich die Lage nur noch verschlimmert. "Eine solche Politik belohnt vor allem die Menschenschmuggler-Banden in Nordafrika, die den unwissenden Flüchtlingen Spanien als das gelobte Land verkaufen."

Dadurch sei auch die Unsicherheit gewachsen, versichert Oti Peña: "Die illegalen Flüchtlinge kommen hier mit großen Erwartungen an, landen dann aber auf der Straße, müssen stehlen, um über die Runden zu kommen."

Wenn sie mit ihrem Hund spazieren geht und Afrikaner in den Mülleimern auf der Suche nach Essen sieht, hat sie Mitleid, gleichzeitig fühlt sie sich aber auch unsicher.

Auch wenn die Statistiken es widerlegen, bringt Vox geschickt die illegale Migration mit steigender Kriminalität in Verbindung. Gegen die Vorwürfe, Vox sei eine fremdenfeindliche und rassistische Partei, wehrt sich Peña vehement. "Die linken Medien, die gegen Vox Propaganda machen, verwechseln Islam- mit Fremdenfeindlichkeit. Auch ist Vox nicht gegen Europa - anders als etwa Marine Le Pens Partei in Frankreich."

Auch Oti wählte zuvor stets die konservative Volkspartei. Aber damit ist nun Schluss. Vor allem seit dem Katalonien-Konflikt. "Rajoy hätte viel schneller und härter gegen die katalanischen Separatisten vorgehen müssen. Das war ein Staatsstreich!"

Bevor sie den Konservativen wieder ihr Vertrauen gibt, müsse der neue PP-Chef und bisherige Oppositionsführer Pablo Casado die Partei erst einmal wieder richtig von der Korruption säubern und zeigen, dass er wirklich bestimmter gegen die katalanischen Separatisten vorgeht, die Otis Land zerstören wollen. Den konservativ-liberalen Ciudadanos, die sich mit Vox und dem PP messen, wer der härteste Separatistengegner ist, traut sie übrigens nicht. Die seien wie die Sozialisten von Ministerpräsidenten Pedro Sánchez. "Die paktieren mit dem Teufel, sprich den Separatisten, nur um an die Macht zu kommen", versichert Oti Peña.

Katalonien-Konflikt hat die Fronten verschärft

Der Katalonien-Konflikt gibt Vox in ganz Spanien Auftrieb. Vor allem seitdem die Separatisten vor eineinhalb Jahren ein illegales Unabhängigkeitsreferendum abhielten, nimmt in Spanien der Rechtsruck zu. In einem Land, das mit Portugal bisher eine der letzten Bastionen in der Europäischen Union war, wo rechtspopulistische Parteien bisher nichts zu melden hatten.

"Der Aufstieg von Vox in allen Umfragen führt dabei sogar zu einem dreifachen Rechtsruck. Er zwingt nämlich die Konservativen und die Ciudadanos nachzulegen, um nicht noch mehr Wähler am rechts-konservativen Wählerrand zu verlieren", bestätigt auch der spanische Politologe Pablo Simón.

Fast 80 Prozent aller Vox-Wähler kommen von den Konservativen. Besonders erbittert streiten sich beide Parteien darum, wer gegenüber der immer noch nach Unabhängigkeit strebenden katalanischen Regionalregierung die größte Härte zeigt. Der PP droht mit einer dauerhaften Zwangsverwaltung der abtrünnigen Region. Vox will das System der 17 autonomen Regionen gleich ganz abschaffen, also auch Katalonien, die Separatistenparteien verbieten und Spanien zu einem straffen Zentralstaat umbauen.

"Das wäre gut. Auch aus wirtschaftlichen Gründen. Denn wir würden uns die ganzen Kosten für die Regionalregierungen und unterschiedlichen Gesundheitssysteme sparen", stimmt Oti Peña mit Vox-Chef Santiago Abascal überein.