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Spaniens Sozialisten halten sich alle Optionen offen

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

Pedro Sánchez denkt über eine Minderheitsregierung nach.


Madrid. Der Unabhängigkeits-Konflikt mit Katalonien und das Erstarken der neuen Rechtspartei Vox spalteten und polarisierten die Spanier wie selten zuvor. 40 Prozent der Wahlberechtigten hatten bis kurz vor dem Urnengang am Sonntag nicht gewusst, welcher Partei sie bei den spanischen Parlamentswahlen ihre Stimmen geben sollten.

Raquel Miguel war sich ebenfalls unsicher. Traditionell wählte die 38-jährige Journalistin immer die Vereinte Linke (IU). Bei den vergangenen Wahlen im Juni 2016 gab sie dann der damals neuen Links-Allianz Unidos Podemos ihre Stimme. "Es fiel mir nicht leicht, aber im letzten Moment entschied ich mich, diesmal die Sozialisten zu wählen", sagte die Spanierin, nachdem sie in der Sporthalle der Madrider Decroly-Schule abgestimmt hatte.

"Ich sah nur in einer großen Mitte-links-Partei eine Möglichkeit, den starken rechtskonservativen Block zu stoppen, der sogar mit den Rechtsextremen paktiert. Es brauchte einer Linkspartei mit deutlichen Vorsprung und die Sozialisten waren als größte Mitte-links-Formation und Wahlfavoriten damit die einzige Alternative für mich", erklärt Raquel Miguel.

Die Strategie des sozialistischen Ministerpräsidenten, Pedro Sánchez, seine eigenen Anhänger und Linkswähler mit der Angst vor einem radikalisierten Rechtsblock zu mobilisieren, ist aufgegangen. Am Sonntag wurden Spaniens Sozialisten PSOE mit 123 der 350 Abgeordnetenmandate deutlicher Wahlsieger, sie verbesserten sich um 38 Sitze gegenüber den Wahlen 2016. Sánchez konnte sogar liberal-konservative Ciudadanos-Wähler diesmal für sich gewinnen.

Die Abgrenzung zu Vox war Thema für viele Wähler

"Eigentlich gehören meine Sympathien den Ciudadanos. Doch wollte ich diesmal keine Partei unterstützen, die bereit ist, gemeinsame Sache mit den Rechtsextremen zu machen, um an die Macht zu kommen", versichert auch Paloma López. Die 46-jährige Psychologin aus Madrid ist alleinerziehende Mutter und zudem gegen die Familienpolitik der konservativen Volkspartei und der rechten Vox, die ein deutlich konservativeres Familienmodel fördern und unterstützen.

Die meisten Stimmen erhielten die Sozialisten allerdings von ehemaligen Podemos-Wählern. Aber die damit verbundenen hohen Stimmverluste der Linkspopulisten verhindern, dass die beiden potenziellen Bündnispartner einer absoluten Mehrheit näherkommen. Die Linkspopulisten Podemos mussten nach den Konservativen am meisten bei den Wahlen bluten, sie verloren 29 ihrer bisherigen 71 Mandate.

Nach dem schwachen Abschneiden der Linken müsste Sánchez noch die separatistischen Linksrepublikaner Kataloniens (ERC) ins Boot holen, um eine absolute Mehrheit zu bekommen. Ein Zusammenschluss allein mit Podemos, den baskischen Nationalisten (PNV) und anderen Regionalparteien würde nicht für eine absolute Mehrheit ausreichen. Er braucht jemand aus Katalonien.

"Sánchez wird es aber vermeiden, eine Minderheitsregierung zu bilden, die erneut auf die Stimmen der katalanischen Separatisten angewiesen ist. Für die Sozialisten sind die Unabhängigkeitsforderungen der Separatisten ein Tabu. Erst recht, nachdem daran die Regierung gescheitert ist und Sánchez deswegen im Februar Neuwahlen ausrufen musste", versichert der spanische Wahlexperte Kiko Llaneras.

Podemos kämpft gegendie Bedeutungslosigkeit an

Wie ein Mantra versicherte Podemos-Chef Pablo Iglesias am Sonntagabend, seine Partei sei "unentbehrlich für die Bildung einer linken Regierung in Spanien".

Denn Sánchez hatte zuletzt immer wieder die Möglichkeit lanciert, auch nach der Wahl eine Minderheitsregierung zu stellen. Immerhin hätte er sogar fast ein Drittel mehr Sitze als vor der Wahl. Am Montag wiederholte Carmen Calvo, Sánchez’ Vize das Bekenntnis der Sozialisten, allein eine Regierung stemmen zu wollen. Die PSOE-Chefin Cristina Narbona erklärte später: Man würde es jedenfalls nicht ausschließen, alleine zu regieren.

Die Sozialisten mögen als Solisten regieren wollen, aber wenn Podemos "No" sagt, ist der Spielraum äußerst gering. Denn beim zweiten Wahlgang zur Verabschiedung einer neuen Regierung, bräuchte Wahlsieger Sánchez mehr Ja- als Nein-Stimmen, um im Parlament als Regierungschef bestätigt werden zu können. Da die drei rechts-konservativen Parteien PP, Ciudadanos mit ihren auf 147 Mandaten mit "Nein" stimmen dürften, muss Sánchez zumindest Podemos hinter sich haben.

Die in einem Monat anstehenden landesweiten Gemeinde- und zahlreichen Regionalwahlen, die in Spanien parallel zu den Europawahlen am 26. Mai stattfinden, verkomplizieren die Koalitionsgespräche.

Podemos muss nach der Wahlschlappe beweisen, dass ihre Stimmen etwas bewegen. Die Linkspopulisten wollen in die Regierung. Doch Sánchez scheint zu einer anderen, politisch konfliktärmeren Alternative zu suchen - Ciudadanos.

Noch am Sonntagabend öffnete Sánchez nach seinem Wahlsieg die Möglichkeit von Gesprächen mit den konservativen Liberalen.

Das erzürnt aber so manchen in der Basis. "Nicht mit Rivera", nicht mit dem Chef der Ciudadanos, forderten seine Anhänger lautstark auf der Wahlparty vor der PSOE-Parteizentrale im Zentrum Madrids. Doch Sánchez ignorierte die Forderung mit einem Lächeln und machte schwammig zur einzigen Bedingung für Koalitionspartner den Respekt vor der Verfassung und die Förderung der sozialen Gerechtigkeit.

Dabei trennt die beiden Parteien in vielen Politikbereichen gar nicht so viel und mit ihren 57 Sitzen könnten die "Bürgerlichen" den Sozialisten eine absolute Mehrheit und damit eine Regierungsstabilität garantieren. Doch auch Ciudadanos-Chef Albert Rivera schaut nach seinem Wahlerfolg auf den Wahltag am 26. Mai.

Rivera wittert derzeit seine Chance, nach dem Wahldebakel der konservativen Volkspartei die Oppositionsführung zu übernehmen. "Wir sind gekommen, um Sánchez aus der Macht zu vertreiben", versprach Rivera Sonntagabend seinen Anhängern und schloss die Tür für sämtliche Verhandlungen mit den Sozialisten.

Ciudadanos-Wähler Pedro Palacios hofft, es handelt sich dabei nicht nur um Säbelrassen, um die eigenen Wähler erneut für die anstehenden Gemeinde- und Regionalwahlen in vier Wochen zu mobilisieren. Rivera zeigte sich in der Vergangenheit immer sehr flexibel, wenn es darum ging, Koalitionspartner zu wechseln. "Ich möchte aber nicht, dass meine Stimme dazu beiträgt, die Sozialisten an der Macht zu halten", sagt der 45-jährige Filmproduzent. Er wählte am Sonntag Ciudadanos, weil er vor allem von der bezahlbaren und soliden Wirtschaftspolitik der "Bürgerlichen" überzeugt ist.

Die spanische Einheit unddie Katalonien-Frage

Die Wirtschaftspolitik der Sozialisten hält er hingegen für desaströs. Zudem glaubt er, Sánchez habe die Einheit des Landes aufs Spiel gesetzt, als er sich mit der separatistischen Regionalregierung in Katalonien an den Verhandlungstisch setzte. So eine Partei wolle er indirekt nicht durch seine Stimme unterstützen. Pedro Palacios dürfte aber durchatmen können. Rivera will die neue politische Alternative zu den Sozialisten werden. Die Chancen stehen dafür gar nicht schlecht. Tatsächlich sind Riveras Ciudadanos nach den Sozialisten die großen Gewinner dieser Wahlen. Sie konnten sich auf Kosten der Konservativen von 32 auf 57 Mandate verbessern und messen sich nun auf Augenhöhe mit der Volkspartei. Es waren vor allem PP-Wähler, die, unzufrieden mit dem Rechtsruck ihrer Partei, zu den "Bürgerlichen" wechselten.

In den vergangenen Monaten sprach sich der junge Oppositionsführer Pablo Casado - angetrieben von der neuen Vox-Parteien - für immer radikalere Wahlversprechen aus. Doch überzeugen konnte er nicht alle an der Basis - viele strömten gleich zum Schmied, zur neuen Rechtspartei Vox, die aus dem Stand 24 Sitze im Parlament erobern konnte.

Das blieb zwar weit hinter den Erwartungen der Rechten zurück. Doch Vox-Chef Santiago Abascal stellte am Wahlabend klar, dass das nur "der Anfang ist".