Ankara/Istanbul. Nach der Annullierung der Bürgermeisterwahl in Istanbul zugunsten der Regierungspartei demonstriert die Opposition Geschlossenheit. Die Chefin der nationalkonservativen Iyi-Partei, Meral Aksener, stellte sich am Dienstag hinter Noch-Bürgermeister Ekrem Imamoglu von der größten Oppositionspartei CHP.

Aksener kritisierte die Entscheidung der Wahlbehörde und sagte vor ihrer Partei in Ankara, das Volk sei seines Willens beraubt worden. "Ich schäme mich", so die Parteichefin. Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP kritisierte auf Twitter, die Behörde habe sich dem Druck der türkischen Führung gebeugt und eine
Entscheidung gefällt, die "keinen Funken demokratische Legitimität" habe.

Der Kandidat der islamistischen Oppositionspartei Saadet, Necdet Gökcinar, erklärte nach Medienberichten seine Bereitschaft, bei der Neuwahl am 23. Juni auf eine Kandidatur zu verzichten. Er warte auf die Entscheidung der Parteiführung. Die Kommunistische Partei (TKP) erklärte bereits, ihre Kandidatin werde zugunsten Imamoglus nicht mehr antreten.

Die Oppositionspartei HDP und Iyi hatten bereits am 31. März zugunsten Imamoglus darauf verzichtet, einen
Bürgermeisterkandidaten in Istanbul aufzustellen. Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP und ihr Bündnispartner, die ultranationalistische MHP, hatten sich bei der Kommunalwahl ebenfalls gegenseitig unterstützt.

EU will Gründe wissen

Die türkische Wahlbehörde YSK hatte einer Beschwerde der türkischen Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan stattgegeben und eine Wiederholung der Wahl vom 31. März angeordnet. Imamoglu war bei der Wahl nach einer zweiten Auszählung mit rund 13.000 Stimmen knapp vor dem AKP-Kandidaten und früheren Ministerpräsidenten Binali Yildirim gelandet. Yildirim, ein enger Verbündeter Erdogans, erklärte nach der Entscheidung der Wahlbehörde zur Wiederholung des Urnengangs, er hoffe, diese werde "vorteilhaft für unsere Stadt sein".

Die EU forderte die türkische Wahlbehörde auf, "unverzüglich" die Gründe für die Wiederholung der Wahl zu nennen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kritisierte die Annullierung und forderte einmal mehr eine Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei. Der deutsche Außenminister Heiko Maas bezeichnete die Entscheidung der Wahlbehörde als "nicht transparent und nicht nachvollziehbar".

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu sollen die Bürger am 23. Juni erneut wählen.

Türkische Lira: Währungsschwäche weiter verschärft 

Die Entscheidung für eine Wiederholung der Kommunalwahl in Istanbul hat die Währungsschwäche in der Türkei verschärft. Die türkische Lira geriet am Dienstag weiter unter Druck, der Dollar stieg um 1,5 Prozent auf 6,17 Lira.

Am Montag hatte der Dollar erstmals seit Oktober wieder mehr als sechs Lira gekostet, nachdem die Türkei den Kursrutsch von 30 Prozent im vergangenen Jahr nur mit Mühe eindämmen konnte.

Der türkische Industrie- und Wirtschaftsverband hat sich angesichts der anstehenden Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul besorgt gezeigt. In einer Zeit, in der man sich auf "umfangreiche wirtschaftliche und demokratische Reformen konzentrieren müsse", sei die "Rückkehr in eine Wahlatmosphäre besorgniserregend", teilte der Verband (Tüsiad) in der Nacht zum Dienstag auf Twitter mit. Diese Bedenken habe man auch schon zuvor geäußert, hieß es.

Anleger sorgen sich um die politische Stabilität in der Türkei und einen weiteren Verfall der Lira. Die Türkei befindet sich seit Ende des Jahres in der Rezession. Die Inflation liegt konstant hoch bei rund 20 Prozent. (apa, dpa, afp, reuters)