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Mit linken Themen aus linker Krise

Von Alexander Dworzak und Michael Schmölzer

Politik

In acht Unionsländern haben sozialdemokratische Parteien Chancen, die EU-Wahl zu gewinnen.


Brüssel/Wien. Bei allen Untergangsszenarien: Es gibt sie doch noch, Länder, in denen linke Parteien Chancen auf Wahlsiege haben. Im Europawahlkampf für den Urnengang Ende Mai liegen sie in acht von 28 Ländern in Führung.

Allerdings ist nur einer der fünf bevölkerungsreichsten EU-Staaten darunter: Spanien. Die Sozialisten unter Ministerpräsident Pedro Sanchez dürften wie schon bei der Parlamentswahl im April gewinnen, bis zu 18 EU-Sitze und 23 Prozent der Stimmen sollten drin sein, glaubt man den Umfragen. Großer Verlierer ist abermals der konservative PP mit bis zu fünf Sitzen Minus. Damit würde der PP auf elf Prozent abstürzen.

Spaniens Premier profitiert von Rechtspopulisten

Ein wichtiger Grund für den Erfolg der Roten in Spanien ist das Erstarken der Rechtspopulisten mit dem Parteinamen "Vox", die bei der Parlamentswahl aus dem Stand auf neun Prozent gekommen sind. Premier Sanchez, als "Pedro der Schöne" bekannt, profitiert von der Angst vieler Spanier, dass die Konservativen gemeinsame Sache mit den Rechtspopulisten machen könnten. Ein Blick nach Österreich lehrt, dass diese Vorbehalte nicht völlig aus der Luft gegriffen sind.

Abseits davon dürfte die Wahlbeteiligung in Spanien diesmal einen Rekordwert verzeichnen. Was die Menschen an die Urnen lockt, sind die Gemeinde- und Regionalwahlen, die am gleichen Tag stattfinden. Es sind Themen wie der Unabhängigkeitskonflikt um Katalonien, die spanisches Blut in Wallung bringen - wovon indirekt das EU-Votum profitiert, das "mitgenommen" wird.

Im Nachbarland Portugal regieren die Sozialisten. Ob sie die EU-Wahlen für sich entscheiden können, ist ungewiss. Absehbar ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Konservativen, wobei die Roten laut Umfragen die Nase knapp vorne haben. Die kommunistische Linksallianz CDU hat gute Chancen auf den dritten Platz, dicht gefolgt vom Linksblock BE. Rechtspopulisten spielen in Portugal keine Rolle. Der sozialistische Ministerpräsident Antonio Costa führt seit vier Jahren eine Minderheitsregierung an, in den Augen zahlreicher Portugiesen hat er vieles richtig gemacht. Das Budgetdefizit wurde verringert, die erdrückenden Sparmaßnahmen der Konservativen wurden gelockert, die Steuern für Geringverdiener gesenkt, Pensionen und Mindestlohn erhöht. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, viele Junge kehren wieder in ihre Heimat zurück.

Auch in Portugal geht es bei der EU-Wahl vor allem um Innenpolitik. Im Oktober findet die Parlamentswahl statt, das EU-Votum gilt als Stimmungstest. Derzeit ist ein Streit über Lehrergehälter entbrannt, Costa ist in dieser Frage im Clinch mit seinen linken Partnern.

Noch weiter südlich, in Malta, waren bis dato die sechs Sitze im EU-Parlament brüderlich zwischen Linken und Rechten aufgeteilt. Das dürfte sich jetzt ändern, der Labour Party wird ein haushoher Sieg vorausgesagt. Auf der felsigen Insel im Mittelmeer weht ein generell EU-freundlicher Wind. Die Bevölkerung und die wichtigsten Parteien sind Brüssel gegenüber aufgeschlossen, das einzige Konfliktthema ist die Migration. Hier fühlen sich die Malteser von ihren Partnern in der EU im Stich gelassen. Das tut dem Engagement keinen Abbruch, die Wahlbeteiligung dürfte 70 Prozent oder mehr betragen - im Vergleich zu anderen EU-Ländern ein Traumwert.

Im Norden der EU, in Schweden, ist die Europawahl ein erster Stimmungstest für die neue innenpolitische Konstellation. Denn die Blockbildung zwischen linken und bürgerlichen Parteien wurde nach der Parlamentswahl im vergangenen September aufgebrochen. Sowohl Rot-Grün als auch das Vier-Parteien-Bündnis brachten keine Mehrheit zustande. Weil aber Zentrumspartei und Liberale eine Zusammenarbeit mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten strikt ablehnten, konnte der sozialdemokratische Premier Stefan Löfven die beiden Parteien aus dem bürgerlichen Bündnis loseisen. Sie tolerieren nun die rot-grüne Minderheitsregierung.

Nichts übrig von der Annäherung an Kerneuropa

Den Kampf gegen Rechtsaußen will Löfven nun auch auf europäischer Ebene fortsetzen: "Die Rechtsextremisten sammeln sich nun Land für Land, um den extremen Nationalismus auf den Kontinent loszulassen und Hass aufzupeitschen. Das ist ihnen schon einmal gelungen. Es soll ihnen nie, nie wieder gelingen."

Löfvens Sozialdemokraten liegen mit rund 26 Prozent derzeit knapp unter ihrem Ergebnis bei der Parlamentswahl. Für die Schwedendemokraten - sie haben ihren EU-Austrittskurs seit dem Brexit-Debakel abgeschwächt - weisen die Demoskopen ganz unterschiedliche Umfrageergebnisse aus: Während sie laut dem Institut Novus nur bei knapp 14 Prozent liegen, weisen die Forscher von Sifo fast 20 Prozent aus. Die Schwedendemokraten würden damit die stärkste bürgerliche Kraft, die Moderaten, klar überholen. "Die Moderaten sind geschwächt durch das Auseinanderfallen des bürgerlichen Lagers", sagt Tobias Etzold. "Ihnen wird angelastet, dass sie das Bündnis nicht zusammenhalten konnten", meint der Vorsitzende des Forums Nordeuropäische Politik zur "Wiener Zeitung".

Anders als in Schweden sind die Sozialdemokraten in Dänemark in der Opposition - noch. Bereits zwei Wochen nach der EU-Wahl findet die Parlamentswahl statt. Bei beiden Wahlgängen stehen sie vor einem klaren Sieg. Dänemark würde dann erstmals seit 2015 wieder sozialdemokratisch regiert werden.

Die 41-jährige Parteivorsitzende Mette Fredriksen hat aber ein anderes Europabild als Helle Thorning-Schmidt, die von 2011 an vier Jahre amtierte. "Thorning-Schmidt wollte Dänemark an den Kern der EU heranführen", erklärt Tobias Etzold. Doch mit der Volksabstimmung im Jahr 2015, bei der das Aufweichen einer dänischen Ausnahmeregelung gegenüber der EU von der Bevölkerung abgelehnt wurde, erlahmten auch die integrationistischen Bemühungen. Die Teilnahme an der Währungsunion haben die Sozialdemokraten ganz nach hinten in ihrer Prioritätenliste geschoben.

Die mit den skandinavischen Staaten eng verwobenen drei Länder des Baltikums sind hingegen Mitglieder in der Eurozone. In einem von ihnen, Lettland, wird eine sozialdemokratische Partei wahrscheinlich bei der EU-Wahl siegen. Die "Harmonie" war bereits bei der Parlamentswahl im Oktober 2018 stärkste Kraft. In der Regierung ist sie jedoch nicht vertreten, dort koalieren fünf Mitte-rechts-Parteien. Denn Politik in Lettland operiert entlang ethnischer Linien. Und "Harmonie" wird als Partei der Russen wahrgenommen, die rund ein Drittel der zwei Millionen Einwohner ausmachen.

Russlands Annexion der Krim und die fortlaufende Intervention in der Ostukraine schüren im gesamten Baltikum Ängste. Es ist eine Gegend, die von Auswanderungswellen betroffen ist, insbesondere Junge und gut ausgebildete Personen verlassen ihre Heimat. 12,6 Prozent der Letten leben in einem anderen EU-Land.

Links nur auf dem Papier

An der Spitze dieses Rankings liegt Rumänien. Fast ein Fünftel der 20 Millionen Bürger lebt in einem anderen Unionsstaat. Das Land blutet aus, und wird gleichzeitig von einer korrupten politischen Elite ausgebeutet. Die regierenden Sozialdemokraten der PSD vertreten diese Ideologie nur auf dem Papier. Dennoch konnte sich die sozialdemokratische S&D-Fraktion im EU-Parlament nicht zu einem Ausschluss durchringen. Die Machenschaften von PSD-Chef Liviu Dragnea hinterließen aber bei den Wählern Spuren. Von jenen 45,5 Prozent bei der Parlamentswahl 2016 ist die Partei nun weit entfernt, scheint aber auch bei der EU-Wahl stärkste Partei zu werden. Dragnea, der die EU öffentlich mit "Angst und Terror" verbindet, sucht dem Vernehmen nach bereits nach einer neuen politischen Heimat im EU-Parlament.

Ein Korruptionsskandal um Luxuswohnungen sorgt im benachbarten Bulgarien für dicke Luft. Die Regierungspartei des konservativen Premiers Bojko Borrisow hat einen erheblichen Imageschaden erlitten. Da EU-Wahlen traditionell dazu dienen, es "denen da oben" zu zeigen, wird Borrisows Gerb möglicherweise abgestraft. Das Rennen ist offen, das oppositionelle Bündnis liegt derzeit knapp vorne.