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Sind europäische Champions die Lösung im Systemwettstreit mit China?

Von Ronald Schönhuber

Politik

Deutschland und Frankreich träumen von europäischen Großkonzernen nach dem Vorbild von Airbus. Nur damit ist es ihrer Ansicht nach möglich, den Industriestandort Europa zu sichern. Dem deutschen Mittelstand gefällt die Idee aber ebenso wenig wie Wettbewerbsexperten.


Berlin/Paris/Wien. Die Voraussetzungen waren nicht unbedingt günstig gewesen. Als Frankreich und Deutschland im Jahr 1970 ein Konsortium zum Bau großer Flugzeuge aus der Taufe hoben, wurde der Markt von den großen amerikanischen Herstellern Boeing, Lockheed und McDonnell Douglas dominiert. Aérospatiale und Daimler-Benz Aerospace (DASA), die beiden tragenden Unternehmen des Airbus getauften Gemeinschaftsprojekts, waren dagegen kleine Fische. In den ersten Jahrzehnten überlebte der neue europäische Flugzeugbauer daher nur mit Hilfe staatlicher Geldspritzen. Doch Airbus gewann mit Flugzeugen wie dem Mittelstreckenjet A300 kontinuierlich Marktanteile und konnte Mitte der 1990er Jahre zu Boeing aufschließen. An der Spitze hat sich Airbus bis heute gehalten. Und aus dem anfangs bespöttelten Projekt ist ein Weltkonzern mit 67 Milliarden Euro Umsatz und 137.000 Mitarbeitern geworden, der an mehr als einem Dutzend Standorten in Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien produziert.

Etwas Ähnliches wie Airbus hätte auch durch das länderübergreifende Gemeinschaftprojekt der beiden Zughersteller Siemens und Alstom entstehen sollen: Ein Konzern mit einem Umsatz von 15,3 Milliarden Euro und 62.300 Beschäftigten in mehr als 60 Ländern, der die weltweite Nummer zwei im Bahnbau und der global größte Hersteller von Signaltechnik ist. Und der in jedem Fall über die nötige Größe verfügt, um dem zunehmend auch nach Afrika und Europa drängenden chinesischen Bahngiganten CRRC Paroli bieten zu können.

China spielt nach eigenen Regeln

Geworden ist aus den hochfliegenden deutsch-französischen Plänen für einen "Airbus der Schiene" allerdings nichts. Anfang Februar untersagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die Fusion von Siemens und Alstom, weil die beiden Hersteller ihrer Ansicht nach in Europa so stark gewesen wären, dass sie die Preise in der Bahnbranche diktiert hätten.

Das Thema lässt die europäische Politik seither nicht los, nicht zuletzt auch deswegen, weil sich die neue Kommission nach den EU-Wahlen am 26. Mai mit dieser Frage grundsätzlich auseinandersetzen muss. Denn mit China steht der EU nicht nur die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt als immer mächtiger werdender Konkurrent gegenüber. Die Volksrepublik spielt in vielen Bereichen auch nach ihren eigenen Regeln und investiert enorme Summen an staatlichen Mitteln, um aus chinesischen Unternehmen starke Weltmarktführer zu machen.

Der Staat soll es richten

Konsens gibt es in der Frage, wie man mit China umgeht abseits der Einsicht, dass die Volksrepublik endlich ernst genommen werden sollte, auf europäischer Ebene aber nicht. Viel mehr haben sich zwei Lager herauskristallisiert: Jene, die den Vorschlägen des deutschen Wirtschaftsminister Peter Altmaier und seines französischen Amtskollegen Bruno Le Maire für eine umfassende Renaissance der aktiven Industriepolitik etwas abgewinnen können, und solche, die strikt dagegen sind.

Altmaier hatte im Februar die ersten Eckpunkte für die deutsche Industriestrategie 2030 präsentiert, die nach Ansicht des Ministers auch eine taugliche Blaupause für die europäische Ebene darstellt. In dem dazugehörigen Positionspapier dringt der CDU-Politiker neben Investitionen in Zukunftstechnologien wie etwa der Künstlichen Intelligenz und der Batteriezellenfertigung auch auf eine tatkräftige Mithilfe des Staates bei der Förderung von Schlüsselunternehmen wie Siemens oder ThyssenKrupp und eine einfachere Möglichkeit von Zusammenschlüssen von großen Konzernen.

Denn nur auf diese Weise, so ist Altmaier überzeugt, würde es gelingen, europäische Champions nach dem Vorbild von Airbus zu schaffen, die den Industriestandort Europa sichern - auf Augenhöhe mit der Konkurrenz aus Asien, aber auch aus den USA. "Size matters", also Größe zählt, heißt es dazu wortwörtlich in Altmaiers Thesenpapier - auch wenn der Staat dafür mehr oder weniger ausgeprägt selbst in die Rolle des Unternehmers schlüpfen muss.

Ebenso wie Le Maire macht sich Altmaier daher auch für eine Änderung der EU-Wettbewerbsregeln stark, die die beiden Minister als "veraltet" ansehen. So soll die EU-Kommission bei ihrer Entscheidung über die Genehmigung von Fusionen vor allem die globale Perspektive im Blick haben und weniger den europäischen Binnenmarkt. Oder anders formuliert: Um im Wettstreit mit China und den USA nicht zurückzufallen, soll ein bisschen weniger Wettbewerb in Europa in Kauf genommen werden.

Unterstützung von Weber

Unterstützung bekommen Altmaier und Le Maire für ihre Pläne nicht nur von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Auch Manfred Weber, der aus Bayern stammende EU-Spitzenkandidat der EVP, hat zuletzt immer wieder darauf gedrungen, die Fusionen von Großunternehmen zu erleichtern. "Das europäische Wettbewerbsrecht ist ein gutes, es braucht aber ein Update", sagte Weber.

Dass europäische Champions ein taugliches Rezept für den Industriestandort Europa sind, wollen freilich nicht alle glauben. So fürchten kleinere EU-Länder, dass Deutschland und Frankreich künftig ihre Großkonzerne mit milliardenschweren Subventionen fördern, während kleine Unternehmen aus anderen Staaten auf der Strecke bleiben. Doch auch im eigenen Land ist Altmaier eine Welle der Empörung entgegenschlagen, mit der der stets ausgleichend auftretende CDU-Politiker so wohl nicht gerechnet hat. Denn den in Deutschland traditionell starken Mittelstandstandsunternehmen will die Richtung, in die der Wirtschaftsminister gehen möchte, so ganz und gar nicht passen. Sie fühlen sich in Altmaiers auf große Konzerne fokussierende Strategie vernachlässigt und fürchten, von den Industriegiganten in die Zange genommen zu werden. Dass die Großen alles besser machen, wollen die Mittelständer dabei ohnehin nicht glauben. So wird in diesem Zusammenhang immer wieder auf eine Studie verwiesen, die das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vor kurzem erstellt hat. Ihr zufolge sind deutsche Familienunternehmen in den vergangenen Jahren nicht nur deutlich stärker gewachsen als die großen börsennotierten Konzerne, sondern sie haben auch mehr Arbeitsplätze geschaffen. Wichtiger als europäische Champions zu schaffen, wäre es aus Sicht der Mittelständer daher, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für sie zu verbessern, etwa durch billigeren Strom oder eine Senkung der Unternehmensteuern.

Wettbewerb treibt Innovationen

Neben dem Mittelstandsunternehmen können sich aber auch Wettbewerbsexperten nur bedingt mit dem deutsch-französischen Vorstoß anfreunden. Und dabei geht es nicht ausschließlich um ein Diktat der Preise durch mögliche Quasi-Monopolisten oder die Verdrängung von kleineren Unternehmen durch übermächtige Konzerne. Große Unternehmenszusammenschlüsse würden regelmäßig zu einem Nachlassen der Innovationsaktivitäten führen, schreibt Justus Haucap, Gründungsdirektor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie und ehemaliger Vorsitzender der deutschen Monopolkommission in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Wettbewerb sei und bleibe die Triebfeder für Innovationen.

Ähnlich skeptisch zeigt sich auch Heike Schweitzer, Professorin für Wettbewerbsrecht an der Humboldt-Universität in Berlin. "Künstlich Größe herzustellen unter Befreiung von Wettbewerb ist mit Sicherheit nicht die richtige Antwort auf die Herausforderung durch chinesische und amerikanische Unternehmen", sagte Schweitzer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Viel wichtiger wäre es, den europäischen Binnenmarkt zu stärken, der bisher ja die Basis für das Größenwachstum europäischer Unternehmen gewesen sei.