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Spaniens Linke beginnen von Vorne

Von Maren Häußermann

Politik

Die Plattform Más Madrid überholt Podemos in Utopie-Fragen.


Madrid. "Manuela!", rufen die Madrilenen und "Iñigo!". Die Menge jubelt in der kühlen Stadthalle, wo sie auf den Tribünen sitzt oder vor akkurat gereihten Klappstühlen aus Holz steht. Lachend und winkend betreten die 75-jährige Manuela Carmena, amtierende Bürgermeisterin Madrids, und der bubenhaft wirkende 35-jährige Iñigo Errejón die Bühne.

Es ist die Hauptwahlwahlveranstaltung der Bewegung Más Madrid. Kurz vor den Kommunal- und Regionalwahlen, die in Spanien am selben Tag stattfinden wie die EU-Wahl, präsentieren sie sich als Team, Carmena, einstige Sozialdemokratin und Kandidatin für ein weiteres Bürgermeisteramt, und Errejón, ehemaliger Podemos-Politiker, und nun Kandidat für das Regionalparlament. Beide sind jetzt in der Plattform Más Madrid vereint. Im Stehen, in ohrenbetäubendem Lärm füttert ein Mann das Baby in seinen Armen. Für Kleinkinder gibt es eine Spieleecke, vor der ein Haufen Kinderwägen geparkt ist. Ein Samstagnachmittag für die ganze Familie.

Neue Alternative zur etablierten Linkspartei

Más Madrid - übersetzt "Mehr Madrid" - will eine Alternative zur schon etablierten linken Partei Podemos darstellen, die wiederum eine Alternative zu der klassischen, seit über 130 Jahren bestehenden sozialdemokratischen Partei PSOE ist. Podemos entstand als Bewegung im Jahr 2011, aus den Demonstrationen gegen die spanische Wirtschaftskrise. Más Madrid, vorher Ahora Madrid ist als lokale Bewegung dazu entstanden. Hinter beiden Bewegungen steht der Politikwissenschafter Iñigo Errejón. Umarmungen gehören zum Programm, genauso wie zahlreiche Küsse. Wir sind eine Familie, scheint die Aussage zu sein.

Errejón versucht, eine Theorie umzusetzen, die sich gegen das Blockdenken stellt. Eine Demokratie, die den Konflikt zwischen unterschiedlichen Vorstellungen nicht nur annimmt, sondern als notwendig ansieht und akzeptiert, dass sich Standpunkte jederzeit ändern können. Und dadurch alle Menschen inkludiert.

Die Idee ist orientiert an einer Theorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, mit der Errejón 2015 ein Buch herausgebracht hat. Es heißt "Ein Volk konstruieren": Mehrheiten finden sich durch die konstante Diskussion um verschiedene Punkte. Errejón wollte diesen Plan bei Podemos umsetzen, ist dann aber an einem internen Konflikt gescheitert. Denn thematisch unterscheidet sich Más Madrid kaum von Podemos. Bei den vergangenen Kommunalwahlen trat Carmena im Rahmen von Ahora Madrid als Verbündete von Podemos an.

Doch aus losen Unterstützungen wurde im Jänner im Fall von Errejón mehr: Im Jänner 2019 eskalierte der Streit zwischen den beiden Politikwissenschaftern und Gründern der Bewegung Pablo Iglesias und Errejón. Als Iglesias in der Rolle der Parteiführung bestätigt wird, tut sich sein Freund Errejón mit Carmena zusammen - und nimmt Podemos und seinen Freunden die Rathauskandidatur. Podemos unterstützt zwar die Rathauskandidatur, tritt aber auf regionaler Ebene gegen Más Madrid und Errejón an.

Die verloren gegangene Offenheit von Podemos

Der 27-jährige Gustavo sagt, dass Podemos zwar genauso gemäßigt angefangen habe, mit den Bemühungen, niemanden auszugrenzen, sich dann aber in eine traditionell linke Partei entwickelt hat. "Ich will die Einbindung von allen." "Mir gefällt, dass man nicht Parteimitglied sein muss. Bei Más Madrid kann man einfach so mitmachen," sagt die 58-jährige Anabel Serrano. Und der 37-jährige Jorge sagt, dass Más Madrid offener als Podemos ist. "Es geht um die Macht von allen, nicht um die Macht des Bestehenden" ist eine Aussage, die an diesem Nachmittag mehrmals fällt, oder "wir alle sollten steuern". Die Menschen schwenken Flaggen in Regenbogenfarben. Die Idee einer ständigen Diskussion in der Gesellschaft geht einher mit einer hohen Bereitschaft für gegenseitige Akzeptanz und Respekt.

Errejón fällt dadurch auf, dass er die Konkurrenten auf ihre Manieren anspricht. In der Fernsehdebatte, als er unterbrochen wird oder hier, auf der Bühne, als er sich an eine abwesende Abgeordnete der konservativen Partei Partido Popular wendet, die Carmenas Politik als "senil" bezeichnet hat. "Haben Sie ein bisschen Respekt vor dem Alter", ruft er in die Menge und erntet dafür stehenden Applaus. "Es geht um die Umgangsformen" sagt Gustavo. "Davor haben sich die Leute immer nur angeschrien und beleidigt."

PSOE wird voraussichtlichauch in Madrid stärkste Kraft

Gemeinsam sind die Kandidaten Carmena und Errejón auch auf den Plakaten zu sehen, die in der ganzen Stadt verteilt worden sind, von Freiwilligen, ohne Institutionalisierung. Denn die Wahlbehörde hat Más Madrid als neue Partei eingestuft, obwohl Carmena die amtierende Bürgermeisterin ist und Errejón Podemos mit den gleichen Grundgedanken gegründet hat. Neue Parteien dürfen nicht an Debatten im öffentlichen Fernsehen teilnehmen oder kostenlos Werbung in der Stadt verteilen.

Errejón bedankt sich deshalb bei den 5000 Unterstützern, die anwesend sind, für die 30.000 Balkone der Stadt, von denen die Más Madrid Flaggen hängen. Denn die Plattform hat sich von der Einschränkung nicht bremsen lassen. Die Fans von Carmena und Errejón setzen ihre Forderung nach aktiver Demokratie um und sie sind bereit, sich für ihre Ideen andauernd zu kämpfen. In der Region liegt Más Madrid bei 10,1 Prozent und Podemos bei 9,4 Prozent, laut einer Umfrage der Tageszeitung "El Mundo". Damit würden Más Madrid 13 bis 14 und Podemos 12 bis 13 Abgeordnete stellen. Inhaltlich werden sie vermutlich weiterhin gleicher Meinung sein.

Insgesamt sind 132 Sitze zu holen. Die Sozialdemokraten des PSOE werden voraussichtlich auch in Madrid stärkste Kraft werden und die konservativen PP überholen, ähnlich wie bei den spanischen Parlamentswahlen vor einem Monat.