Oft wurde sie mit der "Eisernen Lady" Margaret Thatcher oder mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel verglichen. Doch keiner dieser Vergleiche traf zu. May war weder eine mitreißende Anführerin, die auf den Tisch hauen konnte, noch war sie geschickt darin, Kompromisse zu schmieden. Ihre Stärke lag eher darin, trotz aller Rückschläge nie aufzugeben. Sie selbst bezeichnete sich einmal als "bloody difficult woman", als eine verdammt schwierige Frau.

Doch die vermeintliche Stärke wurde in der Sackgasse, in die sie sich manövrierte, zu ihrer größten Schwäche. Labour-Vizechef Tom Watson brachte das im Jänner 2019 in der Abschlussrede vor einer Vertrauensabstimmung gegen May im Parlament auf den Punkt. Niemand zweifle an der Entschlossenheit der Premierministerin, sagte Watson. "Aber falsch eingesetzt kann sie zu Gift werden." May habe nicht die "notwendigen politischen Fähigkeiten, die Empathie, das Können und vor allem die Strategie, das Land zu führen".

Kritisiert wurde auch, dass May Entscheidungen nur in ihrem engsten Zirkel traf. Statt den Konsens zu suchen, konfrontierte sie das Parlament mit eigenwilligen Lösungen in Friss-oder-stirb-Manier. Doch ohne ernstzunehmende Konkurrenz konnte sich May lange in ihrem Amt halten.

Zum größten Stolperstein für May und ihren Brexit-Kurs wurde die Frage, wie nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden sollen. Die Regierungschefin fand darauf keine Antwort, der eine Mehrheit der Abgeordneten zustimmen wollte.

Gefangene ihrer eigenen roten Linien

Mays Probleme waren hausgemacht. Anstatt die beiden Lager im knapp ausgegangenen Brexit-Referendum zu versöhnen und zu vermitteln, schlug sie von Anfang an einen harten Brexit-Kurs ein. "Brexit bedeutet Brexit" wurde zu ihrem Mantra. Was sie damit meinte, machte sie in ihrer ersten großen Rede nach dem Referendum zum EU-Austritt Anfang 2017 deutlich: Austritt aus dem EU-Binnenmarkt, Austritt aus der Zollunion und keine Rolle mehr für den Europäischen Gerichtshof in Großbritannien.

Viele EU-Politiker und europäisch gesinnte Briten hatten gehofft, May könne zur Versöhnerin werden. Doch auf die Kompromissvorschläge des Labour-Chefs Jeremy Corbyn ging sie viel zu spät und viel zu zaghaft ein. Sie war eine Gefangene ihrer eigenen roten Linien. Diese Lektion scheint sie nun gelernt zu haben: In ihrer Abschiedsrede ermahnte sie ihren Nachfolger eindringlich, Kompromisse zu suchen.

May hatte ihre Mehrheit im Parlament leichtfertig verspielt, als sie 2017 eine Neuwahl ausrief. Sie hatte sich einen deutlichen Sieg gegen den in seiner eigenen Partei umstrittenen Corbyn ausgerechnet - doch die Parlamentswahl wurde zum Desaster.

Selbstverschuldetes Rennen gegen die Zeit

May musste sich mit einer Minderheitsregierung auf die Hilfe der nordirisch-protestantischen DUP (Democratic Unionist Party) stützen. Das erwies sich am Ende als verhängnisvoll, weil die DUP-Abgeordneten jeglichen Kompromiss in der schwierigen Irland-Frage ablehnten.

Dass es am Ende ein Rennen gegen die Zeit wurde, hatte auch May verschuldet. Sie löste im März 2017 die zweijährige Austrittsfrist aus, ohne einen mehrheitsfähigen Plan dafür zu haben. Sie setzte darauf, dass ihr der Zeitdruck in die Hände spielen würde. Unternehmen und Bürger wurden durch die Unsicherheit zu den Hauptleidtragenden dieser Taktik, das nahm sie in Kauf.

Das Fass zum Überlaufen brachte, dass May in letzter Sekunde noch eine Abstimmung über ein zweites Referendum in Aussicht stellte, um Oppositionsabgeordnete auf ihre Seite zu ziehen. Sie brachte damit ihre eigene Partei gegen sich auf. May hinterlässt ein tief gespaltenes Land, das vor dem Abgrund steht. (dpa / Christoph Meyer und Silvia Kusidlo)